Nature Strikes Back
22.12.2020In Tokyo, mal wieder. Ich bin ja extra noch ein paar Umwege gefahren, in der Hoffnung, dass die dritte Welle in der Zwischenzeit etwas abflacht. War leider nicht der Fall, gibt hier also auch gerade nicht viel was ich tun kann oder will. Da es mir nach fast einer Woche Pause aber auch schon wieder in den Beinen kribbelt, werde ich wohl nochmal eine kleinere Tour in der Umgebung fahren, aber das hat noch Zeit bis nächstes Jahr. Weihnachten kommt ja auch demnächst, das ist hier komplett auf den kommerziellen Teil optimiert worden und wird eher mit Partner oder Freunden verbracht, die Familie ist dann Neujahr dran. In den Genuss des traditionellen Weihnachtsessens werde ich wohl nicht kommen ... dazu hätte ich mein KFC Menü früher vorbestellen müssen.
Die Matsushima Verschwörung
Sendai ist die größte Stadt in Touhoku, dem sonst recht dünn besiedelten nördlichen Teil der Hauptinsel. Als Küstenstadt war Sendai dort auch stark vom 2011er Tsunami betroffen, da der Stadtkern aber doch ein ganzes Stück von der Küste entfernt liegt, ist das jedoch deutlich weniger offensichtlich. So im Ganzen habe ich die Stadt als recht angenehm empfunden, trotz Großstadt irgendwie wenig hektisch, viel grün und wenig heruntergekommene Ecken. Gewohnt habe ich in einer Art Wohngemeinschaft, diesmal mit anfänglich noch drei Leuten aus Taiwan, die eine Sprachschule besuchten. Die konnten zwar auch nur recht rudimentär Englisch (dafür deutlich besser Japanisch als ich), waren aber sehr angenehme Zeitgenossen — und das nicht nur weil sich mich ständig bekocht haben. Eine meiner Mitbewohnerinnen hat während meines Aufenthalts ihre Rückreise angetreten und so bin ich, ohne mich groß dagegen wehren zu können, von dem etwas überenthusiastischen Vermieter auf die zugehörige Abschiedsfeier verschleppt worden, wo ich dann auch gleich noch vor der halben (oder vielleicht auch ganzen) Belegschaft meine bisherige Reise präsentieren durfte. Immerhin gab's auch was zu Essen dafür und ein paar Reisetipps eines Absolventen, der es nach JLPT N1 und Studium japanischer Geschichte zum staatlich zertifizierten Reiseführer geschafft hatte.
Apropos Essen, Sendais Spezialität ist Gyuutan, gegrillte Rinderzunge, erstaunlich wenig Zäh und erstaunlich Schmackhaft. Daneben gibt's noch Zunda, eine sehr grüne süße Paste aus Sojabohnen, mit der allerlei Süßspeisen modifiziert werden, die aber vor allem besonders gut als Milkshake funktioniert. Neben den Parks, in denen man die zur Jahreszeit passenden Laubfarben bewundern kann, gibt es auch noch die übliche nicht mehr vorhandenen Burg mit Ausblick über die Stadt ... und eine riesige Buddhastatue. Die steht in einem etwas abgelegenen Gewerbegebiet und wurde nicht von einer Religionsgemeinschaft sondern einer Firma mit wohl zu viel Geld errichtet, dementsprechend ist das Ding bei den Einheimischen auch eher unbeliebt.
Neben einer weiteren Wasserfall-mit-Herbst-Tour war das Highlight Matsushima. Die dortige Bucht mit den vielen kiefernbewachsenen Inseln zählt zu den drei schönsten Landschaften Japans™ und hat auf Grund ihrer Buchtigkeit den Tsunami recht glimpflich überstanden. Äußerst Fotogen das Ganze. Dort bin ich auch auf eine Truppe aus einem Deutschen, einer Italienerin und einem Ukrainer getroffen, die ebenfalls per Fahrrad durch Japan unterwegs waren ... prinzipiell ja eigentlich ein ganz netter Zufall. Stutzig wurde ich ein wenig, als mich die Italienerin direkt mal (nach dreimal falsch raten) nach meinem Sternzeichen fragte (und es dann natürlich schon vorher gewusste hatte) und dann wissen wollte ob ich über die Illuminaten und deren geheimen Ort am Fuji Bescheid wüsste. In meiner Gutgläubigkeit habe ich darauf nachgefragt ob das was mit dem Roman zu tun hätte, was allerdings in einer verneinenden Aufzählung diverser angeblich beteiligter Familiennamen endete. Der Mensch aus der Ukraine war laute eigener Aussage mit einer Japanerin verheiratet und hatte drei Kinder, war aber kürzlich von ihr rausgeworfen worden — unverschuldet natürlich. Japan schätzte er vor allem weil ihn niemand zwingen würde eine Maske zu tragen, ohne die er dann aber wiederum nicht durch Tunnel radeln wollte, weil Abgase und Staub sind ja ungesund. Der Deutsche war eher ungesprächig, schien die beiden aber Unterwegs eingesammelt zu haben und ebenfalls per Working Holiday Visa eingereist zu sein. So viel mehr wollte ich dann aber eigentlich auch gar nicht mehr wissen, und da der Vorschlag aufkam, ich könnte mich ihnen ja anschließen, habe ich dann freundlich aber bestimmt das Weite gesucht ... was für Flachpfeifen ... ne, mental angetoastet ist ja der neue Fachbegriff. Um weitere Begegnungen zu vermeiden bin ich direkt weiter zum nördlichen, ins Meer hineinragenden Teil der Bucht, da ist im Gegensatz zum Ort Matsushima fast nicht los, bei landschaftlich Äquivalenter Hübschigkeit.
Tal der Winde
Da wir letztes Jahr an der Küste entlang nach Tokyo zurück sind, was deutlich weniger angenehm zu fahren war als es klingt, und von Sendai aus da wohl noch für längere Zeit ein strahlendes Sperrgebiet im Weg liegt, habe ich mich diesmal für die Bergroute im Inland entschieden. Nach einem kurzen Zwischenhalt in Fukushima (der Stadt, nicht der Präfektur oder der Katastrophe), ging es nach Aizuwakamatsu, dem ersten Ort neben Tokyo den ich durch die Tour letztes Jahr nun zweimal gesehen habe ... es ist nicht so, dass es da irgendwas außergewöhnliches gibt, lag halt auf dem Weg. Der führte mit etlichen Höhenmetern durch die Berge. Dort kann man, am Berg Bandai, die Farbigen Teiche bewundern, welche je nach Laune durch diverse vulkanische Mineralien verschieden bunt schillern. Die meisten davon sind aber nur erwanderbar und die Route war leider zu lang um sie unterwegs mitzunehmen, also habe ich mich auf die beiden Teiche am Anfange und Ende beschränken müssen. Zudem war auch mal wieder eine recht essentielle Straße gesperrt, was mir dann gleich mal zwei Stunden und ordentlich Höhe Umweg beschert hat und da es jetzt deutlich früher dunkel wird sind so Späße deutlich ungemütlicher geworden.
Weiter ging's bei mäßig beschissenem Wetter und gemütlichen zwei Grad über einsame Bergstraßen ... zumindest bis Ouchijuku, dort wimmelte es nur so von Touristen. Das inzwischen etwas abgelegene Bergdorf war vor einigen hundert Jahren mal Rastplatz an einer wichtigen Handelsroute und ist optisch zu dieser Zeit passend restauriert worden. In den mit Reet gedeckten Häusern befinden sich aber hauptsächlich Souvenirshops und Restaurants. In der Nähe gibt es aber auch noch ein paar hübsche Schluchten zum angucken. Mein Tagesziel, Yabuki, war ein eigentlich sehr belanglos — so sehr, dass mich die reine Existenz eines Hotels dort immernoch irritiert — aber etwas abenteuerlich. Nach den kalten und nassen Bergstraßen, kam Sonne ... und Wind. Der hat mich zwar mit 40 bis 50 Sachen bei relativ gefühlter Windstille aus dem Tal befördert, jegliche Bewegung die nicht ganz der Windrichtung entsprach aber nahezu unmöglich gemacht. Abends hab ich dann auch noch des erste richtige Erdbeben zu spüren bekommen. Auf Hokkaido hab ich zwar schon eines erlebt, das war aber so schwach, dass ich erst nachgucken musste um sicher zu sein. Ist ein interessantes Gefühl so ein Erdbeben, erst hat man den Eindruck, dass irgendwie irgendwas gerade komisch ist und dann rüttelt es eine Weile lateral hin und her (... ich hatte mir das immer mehr vibrierend vorgestellt). Ich war gerade im Konbini mein Abendessen besorgen wo das klirren und rascheln der Regale das ganze noch etwas beeindruckender macht. Die Einheimischen nehmen's aber recht gelassen: Alle gucken kurz ob es wieder aufhört, dann wird der eine umgekippte Pappaufsteller wieder hingestellt und alle setzen Wortlos ihre vorherige Tätigkeit fort. Mit einer unteren fünf auf der JMA Skala (nicht zu verwechseln mit der Richter Skala) hatte das Ereignis durchaus Nachrichtenwert, es kam aber weder zu einem Tsunami noch zu sonstigen Schäden ... nur die Aufzüge im Hotel hatten sich abgeschaltet, sodass ich erstmal die Treppe finden musste, die ist in Japan nämlich meist recht gut versteckt.
Nächster Halt, nächste Tourifalle: Nikko. Wieder durch die Berge über wenig befahrenen Bergstraßen, dafür Begegnungen mit Affen und Wildschweinen ... immerhin keine Bären. Sehr viele heiße Quellen gab es unterwegs, die fleißig ihre lecker schwefeligen Dampfwolken von sich gaben. Nikko ist ein religiöses Zentrum, daher recht viele Tempelschreine, aber auch viel Landschaft. Vor allem der Herbst, der in den Höhenlagen schon großteils verschwunden und nur kahle Bäume hinterlassen hatte, war hier noch recht präsent. Oberhalb von Nikko liegt der Chuzenji See, zu dem ich eine leicht anstrengende Tagestour gemacht habe. Dort hoch (und runter) führt die Irohazaka, einem Paar Straßen (jeweils eine pro Richtung) mit insgesamt 48 Haarnadelkurven. Der Name kommt vom ehemaligen Ordnung der 48 Japanischen Silben, die mit i-ro-ha anfängt ... das Lateinische Alphabet wäre mir lieber gewesen.
Scheuer Berg
Am nächsten Tag habe ich mir dann aber fast die 48 Kurven zurückgewünscht. Ich habe (bzw. musste diesmal sogar) mal wieder einen Tunnel umfahren. Die Strecke hing mitten in einer Regenwolke, sah dadurch eigentlich recht cool aus, und hatte ihre Kurven auch durchnummeriert ... Die Zahlen überstiegen aber alle mir bekannten Alphabete. Der weitere Verlauf ging dann wenigstens über eine normale Landstraße durch ein trotz schlechten Wetters doch ganz hübsches Tal, vorbei an einigen Stauseen bis nach Maebashi. Das liegt am nördlichen Rand der Metropolregion Tokyo und vermittelt irgendwie auch schon ein ähnliches Gefühl, bin mir aber noch unschlüssig woran das liegt. Nach diesem kurzen ebenen Intermezzo hab ich mich aber statt direkt weiter nach Tokyo zu fahren doch lieber direkt wieder in den Berge begeben.
Am Berg Asama vorbei, um den herum sich erstaunlich viele Ferienhäuser und internationale Restaurants befinden und der Schauplatz des Kampfes mit dem achten Engel Sandalphon war, habe ich dann schließlich auf den Fuji zugesteuert. Denn konnte ich dann auch gleich bei erster Gelegenheit in voller Pracht aber noch aus weiter Ferne besichtigen. Das Ding ist mit seinen 3.776 Metern übrigens ein immernoch aktiver Vulkan und dazu noch einer der schon länger überfällig ist. Voller Vorfreude habe ich mich dann am nächsten Tag bei gutem Wetter über die letzte Bergkette gequält die noch zwischen mir und dem Fuji lag, nur um auf der anderen Seite festzustellen, dass sich das dämliche Ding dann doch in einer Wolkendecke versteckt hatte, wo es dann die diversen Tage die ich in der Umgebung eingeplant hatte auch nicht mehr rauskam. Bis auf ein Hinweisschild wie der Ausblick — der gefühlt das Cover von wirklich jedem Japanreiseführer ziert — eigentlich hätte aussehen sollen gab's nicht viel zu sehen. Was wenigstens noch recht beeindruckend war, ist dieser nach oben quasi in der Unendlichkeit (in Fachkreisen auch Wolke genannt) verschwindenden Wand entgegenzufahren. Den Aokigahara Wald hab ich auch kurz von innen sehen können, besser gesagt von der Straße die durchführt. Und ja, der ist wirklich ziemlich dicht und ich verstehe warum sich da drin viele Geschichten und Legenden abspielen ... und man da früher wohl gerne unliebsame Verwandtschaft reingeschickt hat, in der Hoffnung, dass sie nicht wieder herausfindet. Weswegen der Wald sonst noch so bekannt ist, darf jede für sich selbst recherchieren, ober vielleicht auch besser nicht.
Nunja, alles in allem was das ja jetzt auch nicht der erste berühmte Ausblick der nichts geworden ist ... und nen geheimen Ort hab ich auch nicht gefunden, nur die Bat Cave, aber keine Ahnung ob Batman bei den Illuminaten ist.
Strandurlaub
Den Fuji im Rücken weiter auf die Izu-Halbinsel. Ich hab irgendwie nicht mitbekommen wann ich die Klimazone gewechselt habe, aber nachdem ich die Wochen davor eigentlich nur kahle Bäume mit gelegentlichen Herbstresten gesehen habe, war Izu plötzlich wieder saftig grün und angenehm warm. Zudem wirkt zumindest die Westseite trotz ihrer Nähe zu Tokyo sehr abgelegen und verschlafen. Aber es führt tatsächlich eine Radroute einmal komplett außenherum, die hilft aber nur mit ihren auffälligen blauen Pfeilen auf der Straße bei der Navigation, ist ansonsten aber eher anspruchsvoll. Das ständige auf und ab an der Steilküste läppert sich und so kamen täglich mehr Höhenmeter zusammen als bei meinen Bergetappen. Lohnt sich aber bei der Landschaft. Eine meiner Übernachtungen lag an einer Bucht die sich selbst als Matsushima von Izu bezeichnet und einen atemberaubenden Sonnenuntergang bietet, den ich dann direkt auch in einer Horde anderer Fotografen genießen durfte. Der Fuji hat sich auch das eine oder andere Mal dazu herabgelassen aus seiner Wolke herauszuschauen, aber halt wieder nur aus der Ferne.
Die Ostseite von Izu ist deutlich lebhafter. Hier weicht die Steilküste nach und nach Stränden, die Surfer und Urlauber, und damit auch Hotelbunker, anziehen und das Ganze geht dann fast nahtlos in die langgezogene Sagami-Bucht über. Die Radroute geht da auch weiter, stellt sich nämlich heraus, dass der Izu-Abschnitt nur ein Teil der insgesamt 1.400 Kilometer langen Pacific Cycling Road ist der ich dann noch ein paar weitere Tage folgen konnte. Hätte ich das mal früher gewusst ... aber vielleicht bietet sich in der Zukunft nochmal eine Gelegenheit die komplett in Angriff zu nehmen.
Ein Großteil der Sagami-Bucht ist das Shonan Gebiet. Das milde Klima und die breiten Strände sowie die nähe zu Tokyo haben hier über die Jahre zu einem eher Kalifornischen Lebensstil geführt, alles versucht eine gewisse Entspanntheit zu vermitteln, alle Mopeds und Fahrräder sind mit Surfbrettträgern ausgestattet und an sämtlichen Häusern flattern Neoprenanzüge. Mittig in dieser Region liegt die Enoshima, eine kleine steinige Insel die per Brücke mit dem Festland verbunden ist. Dort kann man über verschlungene Wege und Treppen ein wenig zwischen den kleineren Ansiedlungen von Souvenirläden und Restaurants umherwandern. Schreintempel und einen Aussichtsturm gibt's natürlich auch. Außerdem kann man sich damit beschäftigen den Adlern auszuweichen die gelegentlich Sturzflüge auf die Besucher durchführen oder sich wahlweise den Schädel an der niedrigen Decke der Iwaya Höhlen anzuschlagen. Die haben laut Legende eine direkte Verbindung Richtung Fuji ... vielleicht haben die Nasen in Matsushima ja davon gefaselt.
Zahnlos nach Tokyo
Für den letzten Abschnitt bin ich dann doch noch mal auf die Fähre, war mit nur 40 Minuten fahrt aber durchaus verkraftbar und ansonsten hätte ich durch Tokyo durchgemusst, was unangenehm, langsam und ja auch schon das Ziel meiner Tour gewesen wäre. Traditionell hatte ich natürlich genau an dem Tag wieder technische Probleme, diesmal hat mein vorderes Kettenblatt ein knappes viertel seiner Zähne verloren ... vermutlich hab ich mich einmal zu oft mit wahrscheinlich doch etwas zu schwerem Rad verschaltet. Naja, wozu habe denn zwei von den Dingern, ging also weiter, nur etwas langsamer. Die Fähre die ich eigentlich nehmen wollte habe ich dann auch verpasst, was dann in zwei Stunden Wartezeit und Nachtfahrt geendet ist. Reparieren werde ich das Problem hier vermutlich nicht mehr, da es am sinnvollsten ist, gleich den kompletten Antriebsstrang zu tauschen und mir das passende Werkzeug dafür fehlt ... aber fährt ja noch.
Auf der Bousou Halbinsel gibt's dann wieder Strände, noch breiter und deutlich leerer. Alles in allem etwas karg dort, aber nette kleine Pensionen mit lokalem Essen zum Übernachten. Am östlichen Zipfel endet dann auch schließlich die Pacific Cycling Road — bzw. beginnt dort. Trotzdem gibt es bis ins Zentrum von Tokyo noch durchgehend separate Radrouten, die sind aber schnurgerade, lang und flach und damit mental irgendwie anstrengend. Sobald man die verlässt und wieder im hektischen chaotischen Stadtverkehr landet, weiß man dann aber auch den Rest des Landes erst so richtig zu schätzen. Unterwegs hab ich auch noch beim Flughafen Narita, genauer gesagt dem dortigen Luftfahrtmuseum, Halt gemacht. Neben den üblichen Museumsdingen kann man von dort den Flughafen und das was dort momentan eher nicht stattfindet beobachten ... mal gespannt, noch behauptet die Lufthansa sie würde mich wieder heimfliegen.








































































































