Winter is Coming
13.11.2020Nach knapp zwei Wochen Sapporo und diversen Fahrradkilometern bin ich wieder etwas südlicher in Sendai. Trotz viel Sonnenschein ist es inzwischen doch recht kalt geworden, aber immerhin schneit es noch nicht wie in Sapporo mittlerweile. Dort ist auch die nun hier im Gange befindliche zweite Coronawelle recht heftig eingeschlagen, also doppelt gut das ich da jetzt weg bin. Netterweise lässt sich inzwischen die Reisesubventionierung seitens der Regierung unbürokratisch per Onlinebuchung nutzen, was für mich die Übernachtungskosten doch deutlich drückt. Es sieht aber so aus als würde ihnen langsam dämmern, dass die Aktion angesichts der steigenden Zahlen eventuell nicht die beste Idee ist ... also mal sehen wie lange noch.
Weltstadt
Sapporo wurde erst im 19ten Jahrhundert mehr oder weniger geplant als neue Hauptstadt Hokkaidos errichtet. Dementsprechend gibt es wenig historischen Krams und auch erfrischend wenig Schreintempel zu besichtigen. Berühmt ist hauptsächlich das jährlich stattfindende Schneefestival wo man im zentral gelegenen Odori Park diverse Schneeskulpturen bewundern kann, allerdings erst im Februar. In eben jenem Park steht auch aus irgend einem Grund ein Maibaum rum ... und ein Turm, hatte ich jetzt schon länger nicht mehr. Ansonsten gibt's noch ein Biermuseum der nach der Stadt benannten Biermarke, momentan aber nur mit vorheriger Reservierung per Telefon, für mich also nicht zugänglich.
Das Stadtgebiet habe ich mehr oder weniger unfreiwillig auf der Suche nach einem Satz neuer Reifen erkundet. War irgendwie komplizierter als ich gedacht hätte, aber scheinbar ist der Bedarf für alles was nicht billiger Ersatz fürs Mamachari oder high-end Rennradreifen ist recht klein. Wenn man dann auch noch 28" will wird's richtig schwierig, aber ich habe dann doch noch die vermutlich einzigen Paar Schwalbe Marathon (unterschiedlicher Breite allerdings) in ganz Sapporo auftreiben können.
Für's restliche Sightseeing hat mich dann mein Gastgeber beraten. Ich habe mal wieder ein komplettes Hostel für mich alleine gehabt, das hatte zwar eigentlich nur zwei Schlafsäle, die aber auf Grund der momentanen Situation als Einzelzimmer vermietet wurden, immerhin ordentlich Platz und Flussblick. So habe ich dann noch, Zwecks Ausblick, eine Tageswanderung auf den Berg Moiwa gemacht und bin zu einem noch recht leeren Friedhof mit einem in ein Lavendelfeld eingepacktem großen Buddha gefahren. Der Ort war allgemein etwas bizarr, nicht nur wieder wegen der durch die Explosionen des naheliegenden Militärübungsplatzes etwas gestörten Idylle, sondern auch wegen der leicht fehl am Platze wirkenden Moai Statuen und Stonehenge. Vermutlich hat man versucht den Mangel an historischen Relikten irgendwie durch Import auszugleichen. Etwas außerhalb wurde mir auch noch ein recht großer Park empfohlen, da gibt's aber eigentlich nur Sportanlagen, viel Platz zum rumlungern, diverse moderne Kunst und ein NERV-Hauptquartier.
Übelfahrt
Zurück auf dem Sattel ging's weiter nach Furano — über eine Bergkette wo oben gemütliche drei Grad Celsius bei leichtem Hagel herrschten. Mit den Nebelschwaden zwischen den Bergen wenigstens sehr atmosphärisch. Furano ist ein Wintersportort, deswegen war es da auch noch recht leer. In der Umgebung gibt es aber eine Blumenfarm zu sehen, die sich zwar auf Lavendel spezialisiert hat, ansonsten aber auch für jede Jahreszeit andere passende Blumenfelder bereithält. Mein Highlight war aber eher die Käserei wo ich endlich — leider zu Apothekenpreisen — meine nun lange vernachlässigte Sucht stillen konnte. Ich habe mir dort einen Camembert mit Tintenfischtinte und einen Weincheddar gegönnt, in alter britischer Tradition mit Crackern da kurzfristig kein benutzbares Brot aufzutreiben war. Beide Käse waren durchaus nicht schlecht, aber etwas mild für meinen Geschmack. Das ist aber vermutlich eine lokale Notwendigkeit, die japanische Küche neigt zu wenig bis keiner Würzung und konzentriert sich eher auf die subtileren Aromen der Zutaten.
Nach einer weiteren landschaftlich wunderbaren Bergetappe bin ich in Obihiro gelandet, der letzten größeren Ortschaft für laaange. Danach folgt nämliche eine riesige Ebene wo eigentlich nur Felder und Weiden mit gelegentlich kleineren Ansammlungen von Häusern und Bauernhöfen. Im Gegensatz zu den Reisfeldern auf der Hauptinsel scheint man sich hier aber auf Kartoffeln und Rüben zu konzentrieren. Aus der geringer Bevölkerungsdichte resultiert wohl auch, dass die JAXA hier ein Forschungs- und Testzentrum betriebt (eventuell resultiert auch letzteres aus ersterem). Aus der Ebene raus führt ein wunderbar herbstlicher und angenehm wenig befahrener Bergpass zurück zum Meer. Kaum hat man die Berge verlassen landet man zwischen einer wahnwitzigen Menge von Pferdekoppeln. Wie mir der Besitzer des örtlichen Badegästehausnudelsuppenladens erzählte, werden in der Gegend die Rennpferde für den Rest des Landes gezüchtet und verschifft. Das Pferdethema zieht sich dann auch bis fast nach Tomakomai weiter durch, wo es dann direkt wieder unhübsch industriell wird.
Von dort aus habe ich dann die Fähre bis nach Hachinohe zurück genommen, die brauchte mit etwa acht Stunden leider deutlich länger als der Hinweg. Immerhin gab es bezahlbare Kabinen, wobei ich mir die bei der Handvoll Passagiere die mit an Board waren auch hätte sparen können. Dummerweise war das Wetter am Tag der Überfahrt recht rau und lies sich trotz Opfergabe eines kompletten Frühstücks an den an Board befindlichen Sanitärschrein nicht besänftigen. Ich hab dann die fahrt weitgehend regungslos in der Koje verbracht ... Ich glaube nicht, dass sich Schiffe durchsetzen werden.
Vor mir die Sintflut
Durch Apfel und Khaki Plantagen führte mein Weg weiter nach Morioka. Da kann man mit dem Iwate mal einen ordentlichen Berg besichtigen ... und einen Stein, wo ein Baum durchgewachsen ist. So langsam aber sicher hatte sich auch der Herbst endgültig farblich durchgesetzt, leider war das nächste Stück nach Ichinoseki eher baumarm, mal abgesehen von den Ginkobäumen in den Ortschaften ... und es ist Herbst ... der Geruch meiner Jugend. In Ichinoseki hatte ich mich eigentlich auf zwei recht nett wirkende Schluchten gefreut die ich beim Planen zufällig auf der Karte gesehen hatte, die waren aber ein ziemlicher Reinfall. Die eine war nur ein knapp 50 Meter langes von Souvenirshops gesäumtes Stück, die andere nur per Bootstour erreichbar. Naja, auch egal, ist ja nicht so als ob ich unterwegs schon genug davon gesehen hätte.
Apropos, das nächste Stück führte dann auch direkt durch eine Landschaft wie sie die beiden Tourifallen eigentlich versprochen hatte, nur ohne den Touri-Teil, zumindest bis zur Küste. Dort geht es mehrere hundert Kilometer mit Baustellen weiter, das ist nämlich der Bereich der 2011 vom Tsunami buchstäblich planiert worden ist. Man ist immer noch damit Beschäftigt Flutschutzmauern zu bauen und Infrastruktur wiederherzustellen. Alles was etwas tiefer liegt sind leere Straßenskelette wo nur sporadisch das ein oder andere neue erbaute Haus zu finden ist, dazu diverse Gedenkstätten. In Minamisanriku hat man beispielsweise eine der Ruinen stehen lassen auf deren Dach sich ein paar Leute retten konnten. Alles eher bedrückend. Dazu kommt, dass mein Kartenmaterial dadurch auch nicht so wirklich mit der Realität übereingestimmt hat, zusammen mit den inzwischen doch eher kurzen Tagen, musste ich deshalb auch das ein oder andere Mal im dunkeln fahren. Das wird aber vermutlich jetzt im Winter noch des öfteren passieren.




















































