Lake Views

So, wie versprochen gibt's nun den Bericht von meiner Tour nach Sapporo. Die war nicht nur die bislang insgesamt längste, sondern auch die mit den längsten Etappen. Das lag hauptsächlich daran, dass Nordjapan recht dünn besiedelt ist, zwischen Bergen, Seen und Nationalparks ist da halt recht wenig Platz. Wenigstens bewegen sich die Infektionszahlen in den Präfekturen hier im niedrig einstelligen Bereich. Auf Hokkaido ist es dann ähnlich, da ist zwar etwas mehr Platz aber dafür kalt, und ich hab den Eindruck, dass Kalt hier bei der Bevölkerung nicht so beliebt ist ... deswegen hat man wohl auch die Kühe hierhin ausgelagert.

Haus am See

Nach dem Sommer folgt ja bekanntlich (noch) der Herbst, in diesem Fall ziemlich abrupt. Waren es am Tag vor meiner Weiterfahrt noch wolkenlos feuchte 30 Grad, setze am Tag danach direkt Nieselregen und Wind ein, immerhin bei angenehmen Temperaturen. Nach der doch etwas sehr tristen Landschaft um Niigata, hatte ich die Hoffnung, dass es im Landesinneren etwas besser Ausschaut. Wie sich aber herausstellte, ist die Gegend um Yamagata eine große Ebene die ebenfalls stark Landwirtschaftlich genutzt wird, wenigstens mit weniger Industrie dazwischen. Der andere nette Nebeneffekt war, dass bis auf ein, zwei kleinere Bergpässe alles recht flach ist und man recht zügig voran kommt ... meistens.

Leicht irritierend zu benutzen ist das Tal, welches Shinjou und Yuzawa verbindet. Das ist recht schmal und hat gerade genug Platz für Autobahn und Landstraße parallel und irgendwer hat schlauerweise dutzende von "ACHTUNG AUTOBAHN FAHR HIER AUF GARKEINEN FALL MIT DEM FAHRRAD WEITER"-Schilder schon knapp hundert Meter vor dem "Hier ist die eigentliche Auffahrt, Fahrräder können hier links lang"-Schild aufgestellt. Ein Glück kann man heutzutage per Streetview schon mal ein paar Meter nach vorne schauen, sonst würde vermutlich heute noch im Wald rumirren.

Apropos, auf dem Weg nach Noshiro hat mich mein Navi dann doch noch in den Wald verfrachtet. Was auf der Karte wie eine normale Straße aussah, stellt sich als Forstweg heraus, der ging zwar schön breit und glatt Asphaltiert den Berg rauf, auf der anderen Seite aber grob schotterig und mit ordentlichen Schlaglöchern wieder runter. Dazu kamen Spinnen, groß, schwarz mit gelben Mustern drauf ... ich hab einfach mal nicht nachgeschaut ob die irgendwie giftig sind. Ihre Netze hatten die natürlich immer schön über den Weg gesponnen, sodass ich dann alle zehn Meter eines im Gesicht hängen hatte und ich mich recht bald zum Schieben mit regelmäßigen Limboeinlagen entschieden habe.

Nachdem ich mich nach über einer Stunde aus dem Spinnenwald gekämpft hatte, folgte direkt noch ein zweites Waldstück, diesmal aber mit ausgebautem Freizeitradweg. Statt Spinnen schienen dort mal wieder Bären das Problem zu sein, zumindest ließen das die automatischen Bärenabschreckeinrichtungen vermuten, die auf Annäherung mit Blitzlicht und lauten Geräuschen regierten. Keine Ahnung wie Effektiv die gegen Bären sind, aber ich bin vor Schreck fast vom Rad gefallen. In Noshiro gab's dann zur Entlohnung wenigstens heiße Quellen. Das Ryokan in dem ich übernachtet habe war gleichzeitig auch ein öffentliches Badehaus und wurde augenscheinlich ausschließlich von alten Leuten frequentiert ... so fehl am Platze hab ich mich schon länger nicht mehr gefühlt. Das Personal hingegen schien mir aufrichtig happy gewesen zu sein mal jemanden außerhalb der üblich Zielgruppe vor sich zu haben.

Der zweite Ausflug ins Landesinnere ging dann wirklich in die Berge, gute 1500 Höhenmeter zum Towada See, bekannt durch tief blaues Wasser und Ausblick. Für jenes hatte ich dort einen extra Tag eingeplant, der bestach aber durch Nebel und Nass. Wenigstens der Schrein der im Wald am Ufer liegt konnte durch das Wetter etwas an mystischer Atmosphäre gewinnen. Der See war wohl auch mal ein beliebtes Urlaubsziel, inzwischen schien es mir aber nur noch Tagestourismus zu geben, der sich auf einen kleinen Bereich am Ufer beschränkt, der ist recht modern und ansehnlich, alles außerhalb wirkt wiederum sehr heruntergekommen und verlassen ... womit wir bei meiner Unterkunft wären.

Das Hostel war ein recht großes Gebäude was auch schon deutlich bessere Tage gesehen hatte (mit den Geräuschen die Wind und Regen Nachts verursacht haben ging's schon Richtung Gruselvilla). Ich war diesmal nicht nur der einzige Gast sondern auch gleich die einzige anwesende Person. Der Empfang bestand aus dem Foto des Besitzers und einem kurzen Text dessen grobe Aussage war: "Ich bin alt, habe diverse Krankheiten und hätte gerne keine Corona, Check-in bitter per Telefon". Die Bezahlung erfolgte dann durch simples Geld-in-die-Kasse-im-Büro-legen, gleiches galt auch für Snacks und die Bar ... ich komme immer noch nicht so wirklich auf diese Grundvertrauen in die Ehrlichkeit der Menschheit hier klar.

In Sekten

Weiter ging's bei bestem Wetter — also hab ich doch noch meinen Seeblick bekommen — nach Aomori. Der Weg führte durch einen sehr schönen Nationalpark, allerdings gepaart mit diversen recht steilen Höhenmetern. In der Nähe liegt auch das Grab von Jesus, der ja bekanntermaßen seinen Bruder an Kreuz nageln gelassen hat, sich dann nach etwas Umherreisen in Japan niederließ und dort im Alter von 106 Jahren gestorben ist ... klingt etwas absurd aber auch nicht viel absurder als der Rest der dem Typen nachgesagt wird. Die 30 Kilometer Umweg waren mir als Ungläubiger dann aber zu weit.

Aomori, was buchstäblich blauer und/oder grüner Wald bedeutet (der Wikipedia Artikel zur sprachlichen Unterscheidung von Grün und Blau in verschiedenen Kulturen sei hiermit empfohlen), war zur Abwechslung mal wieder eine lebhafte Großstadt. Die macht einen recht modernen Eindruck, lebt aber wohl von ihrer Rolle als Verbindungspunkt nach Hokkaido. Ich hab's dort auch endlich geschafft von einer der seltsamen Sekten angelabert zu werden, von denen ich schon in vielen Reiseberichten gehört hatte. Der Typ schaffte es Anfangs eher wie jemand vom städtischen Tourismusbüro zu wirken, als er dann aber einen dreistündigen Trip in die Nachbarstadt vorschlug um "Buddhismus zu Erfahren" wurde mir dann doch klar was los war, ich hab dann auch erst im gehen den Rest der Truppe gesehen, die mit Plakaten und Flyern etwas Abseits standen. Wirklich gefährlich ist das ganze wohl auch nicht wirklich, es handelt sich hier scheinbar um irgendwelche Pyramidensysteme um religiösen Krams zu verkaufen, die Leute bleiben aber gewohnt höflich und lassen einen dann auch in Ruhe wenn man sagt, dass man keine Lust auf das Ganze hat.

Von Aomori aus kann man zwar schon per Fähre nach Hokkaido übersetzen, ich habe mich aber dazu entschieden noch bis nach Ōma am nördlichsten Zipfel der Hauptinsel zu Fahren, von dort braucht die Fähre dann nur anderthalb Stunden. Dorthin kann man nochmal sehr schön an der Küste entlang fahren (oder auch nicht wenn auf der Karte wieder nicht-existente Wege verzeichnet sind und man sich in einem winzigen Fischerdorf unter den Augen sehr irritierter alter Damen in einer Sackgasse wiederfindet). Einen weiteren Kratersee gibt es dort auch noch, diesmal sehr klar statt sehr blau, und das obwohl da konstant eine lecker schwefelig riechende Brühe reinblubbert. Statt Bären und Spinnen haben sich derweil übrigens Libellen als problematischstes Tier herausgestellt, die sind zu hunderten unterwegs und auf Grund ihrer Größe bei Kollisionen echt schmerzhaft.

Zwischen meiner Unterkunft und dem Fährhafen lagen noch gut 40 Kilometer, und natürlich hatte ich genau auf der Stecke eine Reifenpanne — die zweite insgesamt bis jetzt. Dummerweise war mein Ersatzschlauch wohl durch die lange Zeit in der Tasche auch kaputtgescheuert und hat direkt mehrere Löcher gehabt. Ich hab dann nach mehreren Anläufen und über einer Stunde mit dem letzten Flicken den ich hatte noch einen dichten Schlauch hinbekommen, bin aber dank ordentlich Rückenwind und großzügig eingeplantem Zeitpolster noch locker zur Fähre gekommen. Die war diesmal auch eher an japanisches Publikum gerichtet, sprich: In der zweiten Klasse gibt's keine Sitze sondern große Tatamiflächen wo man gemütlich auf dem Boden rumlümmeln kann. Ich habe die Überfahrt Situationsbedingt trotzdem lieber auf Deck verbracht, das Wetter wurde zwar langsam etwas rauer, war aber immer noch erträglich.

Letzte Insel

In Hakodate habe ich dann erstmal zwei Tage pausiert, in der Hoffnung etwas Sightseeing machen zu können. Leider war das Wetter inzwischen recht stürmisch geworden und die Seilbahn auf den Berg Hakodate war außer Betrieb — Damit nach Kobe der zweite "Berühmte Nachtblick" der mir entgangen ist. Immerhin das im westlichen Stil (Hakodate war einer der ersten für den internationalen Handel offenen Häfen) gehaltene Hafenviertel war ganz nett.

Nach einem kurzen Abstecher zu einem weiteren See, ging's dann wieder die Küste entlang. Die wirkte eher etwas desolat, eigentlich nur eine lange flache Landstraße, trockenes Gestrüpp, rostige Blechhütten, wenig Zivilisation. Übernachtet habe ich in Yakumo, einem kleinen Städtchen das sich wohl etwas auf den "Ferien auf dem Bauernhof"-Tourismus spezialisiert haben zu scheint. Das Gästehaus dort war ein sehr modern umgebautes ehemaliges Badehaus wo interessanterweise sogar jemand aus Deutschland arbeitete. Er kam ursprünglich aus Hamburg und hatte hier Frau und Kind. Viel mehr haben wir dann aber auch nicht kommuniziert, da er den Abend damit beschäftigt war zuletzt genannten Personen ein Deutschstunde zu geben und dann pünktlich zu Schichtende verschwand. Die Küstenstraße am nächsten Tag war dann etwas netter mit interessanten Felsformationen und Stränden. Komischerweise waren die und diverse Parkplätze entlang des Weges wegen Corona gesperrt, etwas seltsame Prioritäten wenn man bedenkt, dass die Regierung immer noch Urlaubsreisen innerhalb des Landes subventioniert.

Hanabi

Der finale Abschnitt nach Sapporo hat mich dann noch bei bestem sonnigen Herbstwetter an zwei weiteren Seen vorbeigeführt. Der Toyako ist ein weiterer Kratersee der im Gegensatz zum Towada sehr angenehm zu erreichen ist, was daran liegt, dass man einfach einen langen Tunnel durch den Kraterrand gebuddelt hat. Weiterhin ist die Gegend um den See mit diversen teuren Hotels, Parks und Kunstwerken voll. Grund dafür ist, dass hier 2008 ein G8 Gipfel stattgefunden hat und dafür alles etwas aufpoliert wurde. Mein Hostel war demnach auch die einzig verbliebene bezahlbare Adresse im Ort, lag recht versteckt in einer Seitengasse und wurde von einer alten Dame geführt, die für ihr alter eine beachtliche Menge an Emojis in Textnachrichten verwendet hat. Die hat mir morgens sogar noch ein "kleines" Frühstück hingestellt ... ein Glück war's kein großes. Auch bekannt ist der Ort für seine lange Feuerwerk-Saison, was etwas im Kontrast dazu steht, dass man laut Werbung sehr viel Wert auf den Respekt gegenüber der dortigen Natur legt, dann aber von April bis Oktober jeden Abend (!) 20 Minuten lang Feuerwerk hochjagt.

Weiter ging's zum touristisch dann fast garnicht erschlossenen Shikotsu See. Der Weg dazwischen war mal wieder eine schmale, bergige, tunnelreiche und stark befahrene Landstraße. Die bot zwar eine sehr schöne Szenerie, aber mir scheint man neigt auf Hokkaido doch zu deutlich wahnsinnigeren Überholmanövern als auf der Hauptinsel, eher etwas unangenehm. Vom See aus gab es dann netterweise einen mehrspurigen Radweg bis nach Chitose, meiner letzten Zwischenstation. Im Hostel dort habe ich mich mit einer englisch sprechenden Japanerin unterhalten, die mir Vorschlug, ich solle es doch mal in Niseko versuchen. Dort würden immer englischsprachige Aushilfen in den Schigebieten gesucht und generell gäbe es da haufenweise Holländer die die Pandemie ignorieren und Party machen. Klänge unter anderen Umständen ganz verlockend, aber da bis vermutlich April die Grenzen für den Tourismus dicht sind, glaube ich nicht daran, dass es da für mich gerade Jobangebote gibt ... Und auf die Ischgl-Experience hab ich auch recht wenig Lust.

Da es von Chitose aus nur noch ein kurzes Stück bis nach Sapporo war, hab ich noch einen kleinen Umweg durch die Berge gemacht, nicht viel los, aber ein paar Wasserfälle zum angucken gepaart mit dumpfen Explosionsgeräuschen vom naheliegenden Militärübungsgelände. Gut zwanzig Kilometer vor Sapporo beginnt übrigens ein Fuß- und Fahrradhighway der an Stelle einer ehemaligen Bahnstrecke errichtet wurde und dadurch mit nur zwei Straßenüberquerungen bis ins Stadtzentrum führt. Ein echt nettes — und auch gut genutztes — Verkehrskonzept, da man sonst wegen der vielen Ampeln in den Städten eigentlich mit keiner Fortbewegungsmethode sonderlich schnell voran kommt. Dummerweise war ich dadurch fast eine Stunde vor Check-in am Hostel ... konnte ja niemand mit rechnen.