Summer Break
05.10.2020Uff... es ist einiges an Zeit vergangen seit dem letzten Artikel, mal sehen, was ich noch alles aus meiner Erinnerung gefischt bekomme. Die Gründe für die Pause bewegen sich irgendwo zwischen wenig passiert, krank und Motivationsloch. Ich bin zwar inzwischen schon in Sapporo, werde mich hier aber erstmal um die Tour Richtung Niigata und den August, den in ebenda verbracht habe, kümmern. Wie ich nach Sapporo gekommen bin, folgt dann die Tage ...bestimmt. Bilder habe ich auch nicht so viele gemacht, zu sehen gab es viel Landschaft, und da ich davon wie ich meine inzwischen mehr als genug Fotos habe, lag der Fokus dieses mal mehr auf Fahren und Genießen ... außerdem gab es gerade an der Küste oft wenig Gelegenheiten halbwegs sicher anzuhalten.
Guter Anfang
Der erste Tag hat mich bei bestem grauen Nieselwetter den See Biwa entlang geführt, der ist ein Stück größer als der Bodensee und soll wohl landschaftlich sehr schön sein ... zumindest sagt man das über das Westufer. Ich bin am Ostufer entlang, das fand ich irgendwie etwas dröge, kann aber auch am Wetter gelegen haben. Immerhin gab's nen durchgehenden Radweg, ging also wenigstens Zügig voran. Dummerweise war zum ersten Mal der Ort meines Hostels falsch auf des Buchungsseite angegeben, ich bin dadurch irgendwo in der Pampa gelandet wo's dann natürlich auch noch angefangen hat zu Schütten wie sonst was. Ich hab dann so lange unter einem kleinen Verschlag auf einem Friedhof ausgeharrt bis ich trocken genug war um mein Telefon wieder benutzen zu können (Touchscreens funktionieren einfach nicht in nass, da bringt's auch nix wenn das Telefon wasserfest ist) um meinen eigentlich Zielort ausfindig zu machen.
Der lag in einer kleinen Ortschaft wo es eigentlich außer einer Quelle mit, angeblich, besonders klarem Wasser nicht viel gibt. Überraschend war daher, dass ich im Hostel in perfektem Englisch begrüßt wurde. Dort arbeitete eine brasilianischstämmige Japanerin — Brasilianer sind ein der größeren Minderheiten in Japan — die einige Jahre in den USA und (natürlich) auch ein Jahr in Deutschland gelebt hatte. Weiterhin ein Japaner der große Teile des Hauses in Eigenarbeit liebevoll wieder hergerichtet hatte und neben dem selbst gefangenen Fisch auch hervorragend Pasta zubereiten konnte (besser als das meiste was ich bis jetzt in italienischen Restaurants in Deutschland bekommen habe). Er hatte auch in ungefähr die Tour die ich gerade mache in seiner Jugend mal mit Motorrad und Zelt absolviert.
Man erzählte mir, der Besitzer des Hostels hätte seinen sicheren Job als Salaryman aufgegeben, dann Geld mit dem Vertrieb von Flip Flops gemacht und versucht nun die Bevölkerung auf dem Land irgendwie in Kontakt mit dem internationalen Tourismus zu bringen indem er leerstehende alter Häuser zu Guesthouses herrichtet. Demnach wurde ich Abends noch in ein gedolmetschtes Gespräch mit einem japanischen Ehepaar welches ebenfalls im Hostel übernachtet hat verwickelt, die (natürlich) ihre Hochzeitsreise in Deutschland verbracht hatten.
Am nächsten Tag tauchte dann noch ein Pärchen aus Taiwan auf, die Pandemiebedingt ihre Jobs in Osaka verloren hatten und nun per Auto durchs Land reisten. Mit denen ging es dann spontan noch eine lokalen Holzschnitzer besuchen (der entgegen seiner äußeren Erscheinung 1995 mal beim Iron Man angetreten war) und die umliegenden Täler und Tempel erkunden. Zurück im Hostel tauchte dann noch der Besitzer auf der auch schon viel in der Welt rumgekommen war und dementsprechnd gut Englisch sprach. Ich glaube ich hatte seit Fukuoka nicht mehr so viel Kommunikation wie in diesen zwei Tagen, und das einem einem der Orte wo ich am wenigsten damit gerechnet hätte ... leider bis jetzt die Ausnahme.
Küstentour
Weiter ging es dann landschaftlich netter, inhaltlich aber deutlich unspannender. Nach einer noch etwas feuchten Bergetappe folgte ein langer flacher Abschnitt bei bestem Wetter am Strand entlang. Allerdings hat mir dort ein Stück Golfplatz der Weg versperrt, mit dem daraus resultierenden Umweg hab ich dann mit gut 130 Kilometern meinen Tagesrekord gesprengt. Danach gab's immerhin ein Tag Pause in Kanazawa wo es neben der üblichen Burg einen wirklich sehr ansprechend angelegten Garten und ein paar alte Samuraivillen zu besichtigen gibt.
Dann kam ein diesmal geplanter Umweg über die Noto Halbinsel: Ruhig, wenig Verkehr, viele kleine Fischerdörfer, sehr hübsch. Zurück an der Küste folgte eine zwei Tage lange Radroute mit Ausblick, eigenen Tunneln ohne Autos, Brücke mit Fahrradaufzug und Promenade, gutes Wetter ... eigentlich alles was man haben will. Der Radweg endet allerdings sehr abrupt und das letzte Stück nach Joetsu ging über eine stark befahrene (vor allem von LKW die sich die Autobahnmaut sparen wollen) Straße mit vielen Tunneln und Brücken ... der Ausblick ist da zwar immer noch super, meine Konzentration lagen aber deutlich mehr auf Straße und Verkehr, recht anstrengend das Ganze.
In Joetsu gibt es einen historischen Bezirk, dessen Besonderheit die, wegen des reichhaltigen Schneefalls im Winter (gefährlich niedrig) überdachten Gehwege sind. Der schien mir aber irgendwie komplett verlassen und vernachlässigt worden zu sein, und das nicht erst seit der Pandemie. Mein Hotel lag in dem Bezirk und stach nicht nur als hässlicher Betonturm besonders hervor, sondern war auch noch eine ziemliche Bruchbude, aber immerhin billig (und erstaunlicherweise immer noch recht sauber). Immerhin der angrenzende Park war deutlich besser gepflegt und hatte gerade Seerosensaison.
Nach einem weiteren sehr tunnelhaltigem Steilküstenabschnitt bin ich dann letztendlich in der Ebene um Niigata gelandet: Viel Landwirtschaft, etwas Industrie, alles eher etwas unansehnlich, passend dazu schlechtes Wetter ... Ich frag mich langsam wirklich ob die Landschaft das Wetter bedingt oder einfach nur meine Wahrnehmung jener steuert.
Defekt in Niigata
Wegen der geringen Auswahl an (bezahlbaren) Unterkünften in der Region habe ich zum erstem Mal auf ein Airbnb zurückgegriffen. Das war ein Zimmer in, wie ich vermute, einer Mischung aus privatem Studentenwohnheim und Gästehaus. Schienen aber auch gerade nur drei Studenten dort zu hausen und die konnten weder englisch noch waren sie sonst irgendwie gesprächig, vielmehr waren sie damit beschäftigt apathisch auf dem Sofa im Gemeinschaftsraum rumzuhängen. War aber auch irgendwie verständlich, der Sommer in Japan ist brutal. Mir ist es während meinen zaghaften versuchen die Umgebung mit dem Rad zu erkunden auch kaum gelungen in der Geschwindigkeit Flüssigkeit nachzufüllen wie ich sie ausgeschwitzt habe.
Das Airbnb lag in Toyosaka, eigentlich mal eine eigenständige Ortschaft, inzwischen aber zur Stadt Niigata gehörig aber trotzdem noch gut zwanzig Kilometer von dieser entfernt. Meinem Eindruck nach ist Toyosaka hauptsächlich ein günstiger Wohnort für Pendler, es gibt zwar alles um seinen täglichen Bedarf zu decken, sonst ist aber nix los. Das einzig Sehenswerte in der Nähe ist die Fukushima Lagune, ein Sumpfgebiet welches man über die Jahre mehrfach vergeblich versucht hat trockenzulgen und für die Landwirtschaft nutzbar zu machen und jetzt ein Naherholungsgebiet zum Pflanzen und Vögel gucken ist. Meer mit Strand ist auch nicht weit weg.
Der wirklich unangenehme Part am ganzen Aufenthalt war dann aber doch die Gehörgangsinfektion die mich eigentlich schon seit Fukuoka geplagt hat. Ich hatte irgendwie gehofft, dass die von alleine wieder weg geht und wollte wegen der ganzen Coronasituation auch irgendwie vermeiden zum Arzt zu müssen. Nachdem dann aber doch schon drei Monate ins Land gezogen waren, das Ganze in Niigata nochmal schlimmer wurde und ich realisiert habe, dass mich mein Zustand auch motivationsmäßig sehr runtergezogen hat, bin ich dann endlich doch zur Vernunft gekommen und habe das lokale Gesundheitssystem bemüht.
Zwar gibt es von der Tourismusorganisation ein Verzeichnis von Englisch sprechenden Ärzten, das spuckte aber nur ein Krankenhaus in der übernächsten Stadt aus. Über die japanische Seite der Präfekturverwaltung habe ich dann aber einen HNO-Arzt direkt in Toyosaka finden können und nachdem ich mal gehört hatte, dass man in Japan wohl immer direkt zum entsprechenden Spezialisten geht, bin ich am nächsten Morgen gleich mal hin. Auf den ersten Blick wirkt alles recht bekannt: Empfang, Wartezimmer, Patientenfragebogen ... nur Schuhe muss man am Eingang ausziehen und wenn man sich nicht in ein Paar der eh immer viel zu kleinen Hausschlappen zwängt wird die alte Frau die neben einem im Wartezimmer sitzt und etwas schwer zu Fuß ist aufstehen und dir ein Paar holen. Englisch konnte natürlich niemand vom Personal, aber immerhin ein Übersetzungsgerät hatten sie da. Damit, etwas Google Translate und meinen spärlichen Japanischkenntnissen hat die Kommunikation dann auch halbwegs funktioniert. Außerdem waren die Sprechstundenhilfen in einer Weise freundlich und hilfsbereit wie ich es in Deutschland bis jetzt noch nicht erlebt habe (und das nicht nur mir gegenüber ... die kümmern sich auch mal um die Kinder wenn das entsprechende Elternteil im Behandlungszimmer ist). An der Wartezeit wenn man ohne Termin in die Sprechstunde kommt ändert das aber leider auch nichts.
Das Behandlungszimmer ist dann aber doch etwas anders, das ist ein großer Raum in dem mehrere Patienten je nach Leiden an verschiedenen Stationen parallel versorgt werden, maximal durch Vorhänge getrennt ... viel Privatsphäre gibt es also nicht. Immerhin konnte der Arzt zumindest etwas Englisch und die Behandlung lief in etwa so ab wie ich es auch in Deutschland erwartet hätte. Medikamente gab's dann in der Apotheke direkt nebenan, die sind in Japan wohl fast immer direkt neben Ärzten und Kliniken platziert. Dort gibt dann aber auch nur verschreibungspflichtige Medikamente und keinen sonstigen Nippes, den gibt es in den Drogeriemärkten. Man gibt sein Rezept an der Theke ab und setzt sich in den Wartebereich. Irgendwann bekommt man jedes Medikament genau abgezählt in einem eignen Umschlag mit genauen Einnahmeanweisungen und zusätzlich nochmal eine ausgedruckte und bebilderte Übersicht mit Nebenwirkungen und sonstiges Informationen, die Ohrentropfen wurden sogar direkt vor Ort angerührt. Arzt und Medikament direkt zu bezahlen und eine Rechnung zu bekommen ist auch kein Problem, da die japanische Pflichtversicherung generell eine Zuzahlung von 30% vorsieht. Die Kosten halten sich meiner Meinung nach sehr im Rahmen, trotzdem ganz nett, dass ich das Geld inzwischen von meiner Reisekrankenversicherung wiederbekommen habe ... noch haben sie was an mir verdient, ich wäre auch ganz froh wenn das so bleibt.
Die Endoskopbilder vom dem was sich in den Monaten in meinen Ohren gebildet hat haben entfernt an einen Alienplaneten aus einem 80er Jahre SciFi-Film erinnert, dementsprechend hat sich meine Genesung etwas hingezogen. Einen geplanten Ausflug auf die Insel Sado habe ich ausfallen lassen und ich bin doch deutlich länger in Toyosaka geblieben als ich vorhatte um die Sache möglichst auszukurieren. War aber vielleicht auch ganz gut, selbst in gesundem Zustand wäre es bei der Hitze vermutlich recht unvernünftig gewesen durch die Gegend zu radeln (wie die hier im August die Olympischen Spiele durchziehen wollen ist mir immernoch schleierhaft). Die meiste Zeit habe ich also in der Nähe einer Klimaanlage verbracht, offen gesagt konnte ich mich nicht mal dazu aufraffen in die Innestadt zu fahren ... aber in Niigata war ich ja letztes Jahr schonmal, so viel gibt's dort nicht so sehen.
































