Rainy Season

So, nach knapp zwei Wochen auf dem Rad (mit Pausen) bin ich nun in Kyoto und warte auf besseres Wetter ... buchstäblich, für die nächsten zwei Wochen ist fast ausschließlich Regen angesagt. Das Unwetter aus Kyushu ist inzwischen hierher umgezogen und ich bin gestern Morgen etwas unsanft von einem Evakuierungsalarm für ein paar Bezirke in der Nähe geweckt worden (Handys können sowas nämlich auch ohne Katwarn, NINA und Konsorten ... und Fernsehgeräte übrigens auch). Die Stadt Kyoto selbst ist geografisch wohl eher weniger anfällig für Überschwemmungen, und bis jetzt hält sich der Regen mengenmäßig auch eher in Grenzen und überzeugt stattdessen durch Beständigkeit. Generell hatte ich soweit wahnwitziges Glück mit dem Wetter. Momentan ist Regensaison, was nicht zwangsweise bedeutet, dass es immer regnet, sondern eher oft und unerwartet. Dazu kommt noch eine absurd hohe Luftfeuchtigkeit, sodass man unabhängig vom Regen eigentlich eh immer gleich nass ist. Bis auf einen Tag an dem ich ein paar leichte Schauer abbekommen habe, hat sich der Regen aber gut auf die Pausentage verteilt, ansonsten hatte ich unterwegs fasst immer Sonne. Hoffen wir mal, dass sich das alles wieder beruhigt hat wenn ich weiter will. Zur Not halte ich es hier aber auch noch ein paar Tage länger aus, die Frau vom Hostel meinte, dass Zimmer was ich gebucht hatte wäre doch für drei Wochen etwas klein und hat mir kostenlos ein Upgrade gegeben ... jetzt hab ich wieder fast so viel Platz wie in meiner Wohnung in 'Lautern ...

Reif für die nächste Insel

Der erste Zwischenstopp war Onomichi, ein kleines Städtchen an der westlichen Straßenverbindung nach Shikoku, der nächsten Hauptinsel. Hübsche Hafenpromenade, verlassene ewig lange überdachte Einkaufsstraße, viele Tempel und Schreine. Die meisten davon liegen in einem Stadtteil am Berghang, der von vielen engen Gassen und Treppen geprägt, ist und lassen sich ganz nett erwandern. Alternativ kann man wie üblich auch direkt per Seilbahn zur recht gut besuchten Aussichtsplattform hochfahren. Ich bin danach noch zufällig auf einen Pfad der etwas weiter östlich einen Berg hoch ging gestoßen, der führte nicht nur durch einen sehr hübschen Wald, sondern endete auch noch bei einem deutlich besseren Ausblick. Dort waren aber nur eine Hand voll Leute unterwegs ... keine Ahnung warum sich alle auf dem anderen Berg getummelt haben.

Das Hostel in dem ich gelandet bin war etwas rustikal, im guten Sinne. Ein altes Haus, vom Besitzer in Handarbeit hergerichtet, alles etwas eng, steile Treppen, Waschbecken im Freien, aber trotzdem irgendwie nett. Ein paar Worte Deutsch konnte der Besitzer auch und hat mir erzählt, dass er vor 20 Jahren mal für zwei Jahre in Berlin als DJ gearbeitet hat, aber dann so vom deutschen Hang zur Nachhaltigkeit begeistert war, dass er wieder nach Japan zurück ist um diesbezüglich eigene Projekte zu starten. Ich hab offen gesagt keine Ahnung wo er diesen Nachhaltigkeitsgedanken erkannt haben will, aber besser so als anders. Mit mir waren noch drei Franzosen im Hostel die bereits neun Monate Working Holiday hinter sich hatten und schon einer Tag vor mir mit Fahrrad die Shimanami Kaido bezwingen wollten.

Apropos Shimanami Kaido, die war der eigentliche Grund warum ich in Onomichi pausiert habe. Das ist eine von drei Straßenverbindungen nach Shikoku die dort anfängt und über sechs kleinere Inseln und diverse Brücken führt. Das Besondere ist, dass da nach eine ca. 70km lange wunderschöne Radroute reindesigned wurde, die sauber markiert über gute, wenig befahrene Straßen führt und für die Brücken eigene Rampen und Fahrwege hat. Wirklich sehr entspannt zu fahren, sodass dann die weiteren 30km die ich auf Shikoku noch bis zum Hotel hatte auch kein Problem waren. Die verliefen zur Abwechslung mal über flaches Land das nicht durchgehend bebaut war, sondern ähnlich wie daheim aus kleineren Siedlungen mit Feldern und Feldwegen dazwischen bestand. Der Hotelturm stand dementsprechend in einem kleinen Dorf und wirkte doch etwas fehl am Platze. Das traf augenscheinlich wohl auch auf mich zu, denn das Personal an der Rezeption hat dann doch mal interessiert nachgefragt was mich in die Gegend verschlagen hat ... und dass in einem Businesshotel jemand fragen stellt, ist doch sehr ungewöhnlich. Immerhin gab's in der Nähe noch ein kleines Eisenbahnmuseum wo man unter anderem einen Baureihe 0 Shinkansen besichtigen kann.

Talfahrt

Mein nächstes Ziel war das Oboke Tal, ein abgelegenes Tal mit wunderschöner Natur im inneren von Shikoku. Zwischen mir und dem Tal lag allerdings noch ein Berg. Nachdem der Aufstieg auf der einen Seite sich als machbarer herausstelle als ich eigentlich gedacht hatte, musste ich dann oben feststellen, dass der Weg nach unten auf der anderen Seite per Rad definitiv nicht benutzbar war (nicht mal geschoben). Ich bin dann ca. anderthalb Stunden im Wald herumgeirrt bis ich einen brauchbaren Weg nach unten gefunden habe, im Endeffekt wäre es vermutlich sinnvoller (aber auch länger) gewesen direkt um den Berg herumzufahren. Da oben stößt man übrigens öfter mal auf Häuser und kleine Siedlungen die augenscheinlich auch noch bewohnt sind ... stell ich mir echt unpraktisch vor da zu leben, noch ordentliche Straße gab's da nämlich nicht. Als ich es dann fast zu meiner ursprünglich geplanten Route zurückgeschafft hatte, bin ich dann auf einen Polizisten getroffen, der sich mehrfach entschuldigte und mir dann auf seinem Handy ein Bild einer Straße zeigte, die sich offensichtlich nicht mehr an dem Ort befand, an dem sie ursprünglich gebaut worden war. Er hat mich dann auf den längsten und steilsten Weg außenrum geschickt der irgendwie möglich war. Ich bin dann recht spät und ziemlich fertig im Hotel angekommen. Da gab es immerhin ein Onsen im fünften Stock im Freien mit Ausblick, wo ich mich erstmal einweichen konnte. Da am nächsten Tag dann auch noch das Wetter schlecht war und es in der Umgebung nicht viel gab, bin ich da dann auch die meiste Zeit verbracht.

Weiter ging's ins Iya Tal, noch abgelegener, noch hübscher, noch ein Berg dazwischen. Obwohl da eine gut ausgebaute Bundesstraße hochführt, war die Steigung diesmal eher konstant und zermürbend ... und oben war auch noch ein Tunnel. Immerhin war da wegen Bauarbeiten ein Spur gesperrt und einer der Baustellenwinker hat mich (joggend !) über eben diese durch den Tunnel gelotst. Auf der anderen Seite kann man dann eine der früher genutzten Lianenbrücken bewundern, oder besser gesagt, die Leute die sich beim überqueren panisch an allem festklammern was da ist. Aus dem Tal raus führt eine leicht abschüssige, schön lange und wenig befahrene kurvige Bergstraße, die wirklich spaßig zu fahren ist. Die setzt einen aber auch wieder relativ abrupt im modernen Japan mit seinen endlos langen Gewerbegebieten ab. Dort lag auch mein 'Hotel' für die Nacht. Das war scheinbar ein umfunktioniertes Apartmentgebäude, vermutlich wollte niemand dauerhaft an einer viel befahrenen Straße mittig in einem Gewerbegebiet wohnen ... immerhin hab ich jetzt auch mal von innen gesehen womit sich der wenig verdienende Junggeselle in Japan abfinden muss.

Kunstinsel

Nach einer eher unspektakulären Etappe an der Küste entlang bin ich dann in Takamatsu gelandet, von dort aus geht es wieder auf die Hauptinsel Honshu zurück. Allerdings per Fähre, denn die Shimanami Kaido ist die einzige der drei Verbindungen die ohne Auto oder Zug funktioniert. Da es keine direkte Fährverbindung mehr gibt, hab ich noch einen Zwischenstopp auf Naoshima eingelegt. Eigentlich eine ganz idyllische kleine Insel, deren komplette Umrundung jedoch daran scheiterte, dass der Norden von Mitsubishi Chemical und der Süden von der Benesse Corporation beansprucht wird. Letztere hat auf der Insel diverse moderne Kunstinstallationen, ein Kunsthotel und Kunstmuseen installiert, was recht viele Touristen auf die Insel zieht. Dass der Kunstteil nicht per Fahrrad zugänglich ist, wurde mir von einer doch recht britisch wirkenden Dame (keine Ahnung ob das Teil der Kunstinstallation war) mitgeteilt, die mich dann auf einen "etwas steilen" Weg außenrum verwies – nochmal fall ich auf den Trick nicht rein. Im Hafen vom Tamano auf Honshu stand dann noch mehr Kunst rum.

Filmkulisse

Nach einer Nacht im hipsterigsten Hostel in dem ich bis jetzt war, hab ich mir dann Kurashiki angesehen. Das ist wegen dem historischen Bikan Viertel aus dem 17ten Jahrhundert bekannt. Sehr schönes Fotomotiv, das dadurch, dass man ausnahmsweise mal auf die überirdischen Leitungen verzichtet hat, fast wie eine Filmkulisse wirkt. Verstärkt wird der Eindruck dann noch dadurch, dass alles sehr verlassen ist, da durch die Coronakrise der Großteil der Geschäfte und Restaurants geschlossen hat. Generell scheint mir Kurashiki noch mehr vom internationalen Tourismus abhängig zu sein als die anderen Orte an denen ich bis jetzt war. Neben dem Viertel gibt's da sonst auch nur noch ein Museum für klassische westliche Kunst – find ich eher unspannend - eine weitere verlassene überdachte Einkaufsstraße und ein Outletcenter am Bahnhof, vermutlich um teure Markenartikel an chinesische Tagestouristen zu verscheuern. Immerhin bin ich mal wieder angequatscht worden, von einem älteren Herren, der – welche Zufall – vor einigen Jahren mal in Deutschland war, weil er als Kerzenmacher gearbeitet hat und sich dort hat fortbilden lassen ...

Mehr Weltkulturerbe

Nach einer etwas länglichen Tour durch weitere endlose Gewerbegebiete, kam dann Himeji. Hauptattraktion: Eine Burg. Das besondere an der ist aber, dass die nicht wie die meisten anderen irgendwann vor ein paar Jahrzehnten wiederaufgebaut worden ist, sondern original erhalten. Sie hat eine Bombardierung im zweiten Weltkrieg und mehrere Erdbeben überstanden und ist inzwischen UNESCO Weltkulturerbe. Ziemlich groß ist sie auch. Netterweise wird man am Eingang zum Gelände darauf hingewiesen, dass die Besichtigung ein Weilchen dauernd wird, es auf dem Gelände keine weiteren Getränkeautomaten gibt und es dringend Empfohlen wird nicht ohne Flüssigkeit loszuziehen. Und der Automat, der am Eingang stand, war dann noch hauptsächlich mit Wasser und Tee befüllt und deutlich günstiger als sonst – erschreckend sinnvoll. In der Burg heißt es dann Schuhe ausziehen um den Holzboden zu schützen, die trägt man dann in einer Tüte mit sich herum ... macht die steilen Holztreppen auch gleich viel spannender. Im Gegensatz zu Hiroshima – das mir in Nachhinein doch etwas ranzig vorkommt – hat man sich in Himeji etwas mehr bemüht die Stadt um die Hauptattraktion herum etwas hübsch zu gestalten. Offenen Sichtachsen in modern mit viel Grün, schön gestaltete Parks, Weltkriegsdenkmal, großer japanischer und botanischer Garten. Wirkt alles sehr freundlich und aufgeräumt.

Aussichtslos

Weil der direkte Weg zwischen Himeji und Kobe etwas kurz war, habe ich kurzerhand einen kleinen Bogen über zwei ausgewiesene Radrouten gemacht die in der Nähe waren. Die erste davon war ein ziemlicher Reinfall, ewig lang über holprige Bürgersteige am Shinkansen-Viadukt entlang, weder sonderlich ansehnlich noch angenehm zu fahren. Dafür hat die Zweite dann wieder entlohnt: Fluss, Wald, Berge, alles dabei. Eigener Weg, weit weg von den Straßen, ein Stück sogar über eine ansonsten stillgelegte Landstraße ... nur der längliche Treppenabschnitt zwischendrin hat mich etwas irritiert.

Kobe selbst hat mich insgesamt sehr positiv überrascht. Ich weis nicht ob es daran lag, dass ich eigentlich keine Erwartungen hatte oder dass es nach den ganzen verlassenen Touristenorten endlich mal wieder eine lebhafte Großstadt war. Kobe ist vergleichsweise international (mit knapp 3% ein für Japan recht hoher Ausländeranteil) weil es einen der ersten Häfen hatte, der für den Handel mit der westlichen Welt geöffnet wurde. Das schlägt sich auch in der Architektur nieder die, nicht nur im ehemaligen Ausländerviertel oder der Chinatown, recht abwechslungsreich aussieht. Auch ist Kobe die Wirkstätte von Karl Juchheim, der 1921 den Baumkuchen und damit eine der bis heute beliebtesten Bäckereiprodukte nach Japan gebracht hat. Ebenfalls in der Architektur niedergeschlagen hat sich das Hanshin-Erdbeben von 1995 das große Teile der Stadt zerstört hat, deswegen wirkt vieles in noch recht neu. Passend dazu ist ein Institut zur Erforschung von Katastrophen aller Art gegründet worden, das auch eine Ausstellung zum Hanshin-Erdbeben beherbergt. Dadurch, dass das ganze noch nicht so lange her ist, ist die so unglaublich mit Information überladen, dass man kaum schafft alles davon zu erfassen ... etwas Vorauswahl hätte da nicht geschadet.

Durch die geografische Lage, eingeklemmt zwischen Bergen und Meer, ist die Stadt sehr lang und schmal. Vor der Küste hat man deswegen, wie so oft, diverse künstliche Inseln aufgeschüttet (Auf einer von denen liegt auch der Flughafen). In den Bergen gibt es dafür noch recht unberührte Natur und heiße Quellen. Dort kann man auch den '10 Millionen Dollar Nachtblick' genießen – benannt nach den Kosten die die Beleuchtung der von dort sichtbaren Städte Kobe und Osaka verursacht. Hoch kommt man mit einer Kombination aus Funicular und Seilbahn. An der Mittelstation war der Blick auch noch ganz okay ... der Gipfel lag dann komplett in einer Wolke ... auch ganz witzige Erfahrung, aber der Blick war sein Geld nicht wirklich wert.

Da ich dann man mal in Kobe war und keine Touristen die Restaurants verstopft haben, hab ich mir es dann doch nicht nehmen lassen das berühmt berüchtigte Kobe Wagyu zu probieren und ... wie soll ich sagen ... es ist gut, sogar sehr gut, aber der Hype darum erschließt sich mir nicht so ganz. Immerhin ist der Preis, der da für ein Stück Fleisch verlangt wird, zumindest mal halbwegs angemessen und die Idee, tonnenweise frittierten Knoblauch zum Essen zu reichen ist auch ganz gut.

Auf die letzte Etappe nach Kyoto hatte ich eigentlich recht wenig Lust, denn ab Kobe beginnt die Bucht von Osaka – neben der Kanto Ebene, in der Tokyo liegt, das zweite große Ballungsgebiet – in der alle Städte inzwischen nahtlos zusammengewachsen sind, und in der Stadt fahren macht recht wenig Spaß. Aber es stellte sich raus, ab der Stadtgrenze zu Osaka gibt es einen Fluss, und daran entlang führt ein breiter Radweg 60 km unterbrochen bis nach Kyoto. Weil Sonntag war, war da auch ordentlich was los. Die Polder um die Flüsse sind in den Stadtgebieten die einzigen großen freien Flächen, deswegen sind da haufenweise Baseballfelder (die wirklich alle belegt waren), Golfplätze und sonstige Sportanlagen, dazu massenweise Jogger, Spaziergänger, Radler und Saxophonisten (Okay, zumindest einer). Und meinen neuen Nemesis hab ich dort auch gefunden: Alle paar Kilometer gibt es vor kreuzenden Parkplatzeinfahrten Tore, die wohl Radfahren ausbremsen und motorisierte Gefährte abhalten sollen. Durch die kommt ein Standardfahrrad noch ganz gut durch ... mit Gepäck, Mamachari oder Rennrad hat man aber verloren, dann heißt es drüberheben und hoffen, dass man nirgendwo hängen bleibt. Glaubt mir, ich war nicht der einzige der geflucht hat.