They See Me Rollin'

Erster permanenter Ortswechsel von Fukuoka nach Hiroshima, wo ich mich für knapp einen Monat im einem Hostel eingemietet habe. Knapp 340km in fünf Tagen per Rad, ein Tag davon Pause. Diesmal mit etwas mehr Gepäck als letztes Jahr. Ich habe vorher zwar noch etwas Krams Richtung Heimat geschickt, da aber momentan nur teure Luftpost möglich ist (die auch noch langsamer ist als sonst), ist alles was ich an Taschen am Rad habe gut voll. Das meiste ist diesmal am Vorderrad montiert, lenkt sich zwar wie ein Öltanker, ist aber für lange Strecken doch ganz angenehm.

Coronaupdate

Japan hat die Pandemie für beendet erklärt, zumindest wurde der Notstand landesweit aufgehoben. Öffentliche Einrichtungen sollen in den nächsten Tagen wieder aufmachen, allerdings noch mit Einschränkungen. Restaurants und Bars sind weiterhin angehalten früher zu schließen. Die Grenzen bleiben weiterhin dicht. Die Schulen haben wohl auch wieder offen, zumindest lässt das die hohe Zahl an Cosplayern Schülern auf den Straßen vermuten. Mal schauen ob das gut ausgeht ... immerhin ist das Maskenthema hier kein Problem, auch wenn die oft Haarsträubend falsch im Gesicht sitzen.

Letzte Wochen in Fukuoka

Ich habe noch ein paar Trainingstouren in den Bergen gefahren. Eine davon erinnerte sehr stark an eine Mario Kart Rennstrecke, die andere führte zu einem Staudamm und um den dazugehörigen Stausee herum. Dort hätte es wohl auch noch die größte Bronzestatue der Welt gegeben, ein liegender Buddha. Habe ich aber leider erst gelesen als ich zurück war, egal der liegt da auch in ein paar Jahren noch.

Am vorletzten Wochenende hatten meine Mitbewohner dann die glorreiche Idee auf dem naheliegenden Aussichtsturm ein wenig Feuerwerk zu veranstalten. Das kann man hier ganzjährig kaufen und ist im Frühling und Sommer eine recht beliebte Freizeitbeschäftigung. Ich bin irgendwann vom Turm runter um aus der Entfernung ein paar Fotos zu schießen ... aber irgendwie ist recht lange nix passiert. Ich bin dann Richtung Turm zurück, als aber das vierte Polizeiauto in mein Sichtfeld rückte, habe ich mich dann doch für den taktischen Rückzug nach Hause entschieden. Man muss wissen, die meisten Dinge in so einem japanischen Feuerwerks-Set zischen nur und machen bunte Funken. Ein Sorte macht aber 'Peng' und das unerwartet, und wenn dann noch der spitze Schrei einer unbeteiligten davon überraschten Dame dazukommt, könnten Anwohner eventuell schlimme Dinge vermuten und die Polizei rufen. Jedenfalls haben sie laut Aussagen meiner Mitbewohner mit 15 Leuten den Turm gestürmt aber dann immerhin freundlich mit 'Konbanwa' gegrüßt. Zwei davon haben sie dann nach Hause begleitet, wo sie dann witzigerweise nur die Personalien von dem tätowierten Deutschen (das Tattoo hatte er sich grade an dem Tag stechen lassen) aufgenommen. Das abgelaufene Visum und die seit Jahren versäumte Wohnsitzummeldung die die andern beiden am Start hatten sind dadurch wenigstens nicht aufgefallen. Sie haben dann noch ein bisschen Smalltalk gemacht und sind abgezogen. Konsequenzen hatte das ganze keine, nichtmal das übrige Feuerwerk haben sie einkassiert. Was ein Spaß.

Als Abschlussessen gab's original Hakata Tonkotsu Ramen, die lokale Nudelsuppenvariante. Der Laden in dem wir waren hat eine lange Theke mit Trennwänden zwischen den Sitzplätzen die sich wegklappen lassen, wenn man sich mit der Person nebenan unterhalten will. Das Personal sieht man auch nicht, vor einem ist nur ein kleiner Vorhang wo man das Ticket mit der Bestellung, das man am Eingang am Automaten kauft, durchreicht. Irgendwann kommen da dann Hände raus die einem das Essen servieren. Alles sehr Coronakonform ... funktioniert aber wohl schon immer so. Lecker war's auch.

Auf nach Kitakyushu

Morgens noch von meinen Mitbewohnern verabschiedet, Gepäck ans Rad montiert und auf geht's ... Zehn Minuten später, strömender Regen. Der hörte zwar zwischenzeitlich ab und zu kurz auf, aber machte immer dann weiter, wenn ich gerade das Gefühl hatte wieder zu trocknen. Außerdem haben sich diverse Lastwagen redlich bemüht mich konsistent nass zu halten. Immerhin schöne Küstenstraßen und ein recht langes Stück exzellenter Radweg der teils sogar direkt am Strand entlang ging.

In Kitakyushu hatte ich ein günstiges Hostel gemietet, das lag im fünften Stock eines Hauses mittig im Rotlichtbezirk. Der Zugang war etwas schlecht ausgeschildert, aber die Besitzerin der Bar im Erdgeschoss hat mich dann irgendwann mitsamt Rad in den Aufzug geschickt. Oben war tatsächlich genug Platz im Freien wo schon mehrere Räder parkten ... und Platz zum Klamotten trockenen. Es ist hier übrigens nicht ungewöhnlich, dass Treppen und Aufzüge bei Hochhäusern quasi draußen sind und sich die "Hauseingänge" dann auf dem eigentlichen Stockwerk befinden, liegt wohl daran, dass Hochhäuser hier eher wie zusätzliche Fläche als ein Haus im direkten Sinne funktionieren. Im Hostel schienen außer mir nur noch ein paar ältere Japaner zu residieren die in der Raucherecke vor sich hin quarzten.

Das sich der Regen gegen Abend gelegt hatte, habe ich noch ein kurzes Ründchen durch die Stadt gedreht. Alles recht gewöhnlich: Burg, Kunst, Brücken. Im Konbini dann noch schnell Abendessen und Küchenrolle (die sich später als Klopapier herausstellen sollte ... aber ich hab's ja) um meine Schuhe trockenzulegen geholt und zurück zum Hostel.

Unter dem Meer

Nächster Tag, strahlender Sonnenschein. Auf dem Weg lag der historische Hafen von Moji, diverse gut hergerichtete alte Gebäude im westlichen Baustil, allerdings alles sehr auf Tourismus ausgelegt. Dann ging's über, oder besser gesagt unter der Kammon-Straße durch auf die japanische Hauptinsel Honshu. Die ist über Autobahn- und Eisenbahnbrücke, sowie Straßen- und Shinkansentunnel mit Kyushu verbunden. Wer nicht von Blech umgeben ist, kann den 780 Meter langen Fußgängertunnel unter dem Meer durch nehmen ... Fahrräder müssen leider geschoben werden.

Nach ein paar Kilometern am Meer entlang bin ich Richtung Berge ins Inland der Präfektur Yamaguchi abgebogen. Dort lag mein Ziel in der nähe des Ortes Mine. Das Hostel dort war eine freistehende Blechhütte, allerdings recht frisch und modern renoviert, Craft Beer und guten Kaffee gab's auch. Eigentlich hat das Hostel nur zwei Schlafsäle, ich habe aber einen davon als Einzelzimmer vermietet bekommen. Gast war ich der einzige...

Pause im Nirgendwo

Das es in der nähe ein Wandergebiet gibt, hatte ich einen Pausentag eingeplant. Morgens erstmal zum Konbini Frühstück holen, 1.5km entfernt, und der Laden hat zwischen 22:00 und 6:00 zu ... wirklich tiefste Provinz hier. Dann auf zum Akiyoshidai-Nationalpark. Dort gibt es ein Hochplateau mit Karstlandschaft zum Wandern und sehr viele Kalksteinhöhlen, eine davon gilt als die längste Höhle Asiens. Eigentlich ist die auch begehbar, hatte aber ... *Trommelwirbel* ... zu. Auch zu hatten die Hotels und Geschäfte an denen ich beim Aufstieg zum Plateau vorbeigekommen bin, daran war aber augenscheinlich nicht Corona schuld, ich vermute eher, dass der Tourismus in der Gegend seine besten Tage schon länger hinter sich hat. Oben bin ich dann ein paar Stunden rumgetingelt, schöne Landschaft, bewölkt, kühl, angenehm zum Wandern. Anstatt die Straße die ich gekommen bin wieder nach unten zu gehen, habe ich mich für den Rückweg für eine Route entschieden die zwar durchgehend markiert aber überhaupt nicht instand gehalten war. Nachdem ich mich dann gut eine Stunde durch umgefallenen Bambus gelimbot habe war ich endlich wieder im Hostel.

Dort konnte ich dann den Rest des Tages das Besitzerpäarchen beobachten wie es trübselig auf seine Smartphones starrte. Ein Kunde war da und hat sich ein 'Beer-To-Go' mitgenommen, sonst war nichts los. Vom Besitzer habe ich dann trotz sehr rudimentärer Sprachkenntnisse auf beiden Seite erfahren, dass ein recht netter Radweg Richtung Yamaguchi (Der Stadt, nicht der Provinz) nur ein paar hundert Meter entfernt anfängt. Abends habe ich mir dann noch ein lokal gebrautes Hefeweizen und das hausgemachte japanisch-mexikanische Fusion-Food gegönnt. Ich mag den Laden, hoffentlich überlebt er das Ganze.

Premiumradweg

Ich bin dann dem Tipp des Hostelbesitzers gefolgt und habe den Radweg Richtung Yamaguchi genommen, da wollte ich zwar nicht hin, aber da ich für den Tag recht wenig Strecke eingeplant hatte, war ein kleiner Umweg drin. Und der Radweg war wirklich gut, so gut, dass ich nicht mal angehalten habe um Bilder zu machen. Asphaltiert, breit und weitestgehend fernab von Straßen durch schön bewachsene Täler und Reisfelder, später, in besiedeltem Gebiet dann am Flussufer entlang. Die Stadt Yamaguchi selbst ist recht beschaulich, zwar immernoch Stadt aber eher wenig Hochhäuser und zur Abwechslung mal eine Pagode statt Burg.

Der zweite Teil Richtung Shunan war dann eher weniger cool. Dauerhaft an der Schnellstraße entlang und vor allem diverse Tunnel, laut, dunkel und mit sehr schmalen Rad- und Gehweg. Shunan ist eher industriell geprägt, ein paar schöne Ecken gibt es da, wo Verwaltungsgebäude stehen (die sind wohl deswegen recht neu, weil die Stadt erst 2003 durch den Zusammenschluss mehrerer kleiner Städte und Gemeinden entstanden ist), das meiste ist aber recht unansehnlich. Das Businesshotel in dem ich war, war ausnahmsweise mal nicht leer. Immerhin ein paar Nasen, die dem Outfit nach wohl wirklich geschäftlich in der Stadt waren, saßen morgens im Frühstücksraum.

Tunnelvermeidung

Letzte Etappe. Wieder Schnellstraße, wieder Tunnel. Diesmal habe ich versucht die Tunnel zu umfahren ... stellt sich raus: Tunnel sind meistens nicht zum Spaß gebaut worden, die Umfahrungen waren verflucht steil, mit dem ganzen Gepäck war stellenweise Schieben angesagt. Immerhin hübscher Wald und weit und breit keine Autos.

Das letzte Stück hatte dann wieder ein alt bekanntes Problem, irgendwie fängt die Stadt 10km bevor die Stadt anfängt an. Was ich damit sagen will: Japan kommt mir sehr zersiedelt vor, es ist immer schwer zu sagen wo eine Ortschaft anfängt oder aufhört. Ortsschilder gibt es selten und wenn, dann geben sie eher die Verwaltungsgrenzen an. Ab dem "Willkommen in Hiroshima" Schild wird die Bebauung also über lange Distanz immer dichter, bis es irgendwann nach Stadt aussieht ... aber das zieht sich.

Das Hostel in dem ich die nächsten vier Wochen bleibe ist ein kleines Hochhaus recht Zentral in einer Seitenstraße gelegen. Etwas betagt aber gut gepflegt, mit Gemeinschaftsraum und großer Küche ... ist halt leider nur wieder niemand da. Zumindest fast, ein Japaner mittleren Alters scheint noch hier zu wohnen. Der ist einmal in die Küche gekommen als ich am Kochen war, hat sich erschrocken, entschuldigt und ist direkt wieder gegangen. Und am ersten Tag habe ich noch eine – vermutlich – Britin getroffen. Die musste aber gerade draußen ihre Essenslieferung einfangen, seitdem ist sie mir auch nicht mehr über den Weg gelaufen. Immerhin die Frau an der Rezeption sprach zur Abwechslung mal recht gut Englisch und hat mir ein paar Ausflugstipps gegeben, sie scheint aber auch nur jeweils jeden Tag ein paar Stunden da zu sein und kümmert sich wohl gerade im Alleingang um den ganzen Laden ... naja sind ja noch ein paar Wochen, vielleicht taucht ja noch wer auf.