School's Out

Knapp anderthalb Monate lebe ich jetzt in Fukuoka. Seit dem letzten Artikel ist doch mehr Zeit vergangen als ich eigentlich geplant hatte... Das liegt bestimmt daran, dass sich die Sache mit dem Sprache lernen doch eher als Vollzeitjob herausgestellt hat. Andererseits ist durch diese Corona-Geschichte auch nur mäßig viel spannendes passiert. Und ehrlich gesagt habe ich auch einfach viel Prokrastiniert ... wodurch der Aufwand einen Artikel zu schreiben dann wieder gewachsen ist, wodurch ich dann wieder mehr Prokrastiniert habe ... ihr kennt das ja alle sicherlich. Aber hey, Schule ist rum, jetzt hab ich ja Zeit.

Coronaupdate

Als ich in Fukuoka angekommen bin, schien noch alles weitgehend normal zu laufen. Alles was nicht touristisch war hatte offen, draußen war viel los, von Corona war nicht viel zu merken. Seit Japan den Ausnahmezustand ausgerufen hat, hat sich aber auch hier einiges verändert. Fast alles was kein Essen oder sonstigen essentiellen Bedarf verkauft, hat geschlossen, die Vergnügungsviertel sind leer. Die ganzen kleinen Restaurants haben draußen Theken aufgestellt und verkaufen Essen zum mitnehmen. In den Supermärkten und Konbinis gibt es Spuckschutz und Abstandsregeln. Das Personal (und eigentlich auch fast alle Kunden) tragen Masken. Das ist übrigens nicht so normal wie man für Japan vermuten würde, es gilt als recht unhöflich, dass das Personal Masken trägt, deswegen hängen auch an allen Läden Zettel wo sich dafür entschuldigt wird. Viele Geschäfte haben auch ihre Öffnungszeiten reduziert ... jetzt nur noch von 8 bis 23 Uhr. Auf der Straße hab ich zumindest das Gefühl, dass um mich als Ausländer trotz Maske immer ein recht großer Bogen gemacht wird, während man in den Parks doch noch recht eng beisammen seine Freizeit genießt ... das ist aber erstmal nur ein stichprobenhafter und rein subjektiver Eindruck.

Was der Ausnahmezustand genau bedeutet ist mir auch noch etwas unklar. Mein momentanes Verständnis ist, dass dadurch die Kommunalverwaltungen zwar Schließungen und Ausgangsbeschränkungen anordnen können, die Verfassung aber keinerlei Grundlage bietet, diese Regelungen irgendwie durchzusetzen. Also ist alles was momentan passiert mehr oder weniger freiwillig. Das führt dann auch zu eher kreativen Ansätzen, so werden öffentliche Parkplätze neben beliebten Ausflugszielen geschlossen, Spielhallen die nicht zumachen wollen werden öffentlich im Fernsehen angeprangert und in Parks, die im Frühling normalerweise massenweise Leute anziehen, werden radikal einfach mal alle Blüten abgeschnitten.

Gerade beginnt auch die Golden Week, eine Serie von Feiertagen die in Japan die Hauptreisezeit ist. Die wurde kurzerhand in Stay Home Week umbenannt. Ob das hilft, wird sich zeigen. Der Ausnahmezustand gilt offiziell bis zum 8. Mai, wird aber voraussichtlich verlängert 31. Mai. Ich hab meinen Aufenthalt im Fukuoka bis zum 18. Mai verlängert, in der Hoffnung, dass sich Lage bis dahin etwas entspannt. Dann will ich per Fahrrad weiter nach Hiroshima. Rechtlich wird mich wohl nichts davon abhalten, praktisch ist es aber vermutlich nicht die beste Idee ... naja, mal schauen.

Einmal quer durch die Stadt

Räumen wir doch erstmal die blanken Zahlen aus dem Weg. Fukuoka, größte Stadt auf Kyushu, sechst größte Stadt in Japan, 1.5 Millionen Einwohner. Die demografisch jüngste und am schnellsten wachsende Großstadt in Japan, davon sollte man sich aber nicht irritieren lassen, die Menge an alten Leuten denen man auf der Straße begegnet ist immer noch ungewohnt hoch.

Die ersten paar Tage nach meiner Ankunft bin ich mal wieder Kreuz und quer durch die Stadt gewandert, bei teils mäßigem Wetter. Das läuft hier bis jetzt sehr berechenbar ab: 5-6 Tage Sonnenschein, dann 1-2 Tage Regen und Stumböen. Die Temperatur ist davon recht unbeeindruckt und steigt konstant, von anfänglich angenehmen 15 °C auf inzwischen fast 27 °C. So nebenbei, Regenschirme sind hier auch so ein Ding. Sobald es zwei Tropfen regnet, spannt hier wirklich jeder Mensch einen Regenschirm auf, egal ob zu Fuß oder auf dem Fahrrad (was übrigens Verboten ist). Ohne Regenschirm ist man hier fast noch auffälliger als ohne Gesichtsmaske. Das ging so weit, dass ein älterer Herr der an der Ampel neben mir wartete und aus irgendeinem Grund zwei Regenschirme dabei hatte, sich nur sehr schwer davon abbringen lies mir einen davon abzugeben. Am nächsten Tag habe ich dann nachgegeben und mir im nächsten Konbini, wo sie dann an Regentagen auch gleich prominent am Eingang stehen, einen gekauft. Es hat dann auch knapp 500m gebraucht bis er von der nächsten Windböe zerlegt wurde ... sind einfach nicht praktikabel die Dinger.

Aber zurück zur Stadt. Durch die nähe zum Festland ist der Küstenbereich hauptsächlich mit Hafen und zugehöriger Industrie belegt und dementsprechend Trist. Allerdings gibt es auch in Fährterminal mit hübscher Promenade und diverse größere Strände. Hier steht auch das Wahrzeichen der Stadt: Ein hoher Turm – Was anderes hätte mich inzwischen auch gewundert. In der Innenstadt gibt es mit Tenjin und Daimyou zwei recht typische Vergnügungsbezirke mit großen Kaufhäusern in der Mitte und schmalen Gassen mit hunderten von kleinen Bars und Restaurants außenrum. Anfänglich ließ sich noch erahnen was dort Abends an Menschenmengen unterwegs ist, inzwischen hat aber auch das meiste dort geschlossen. Angrenzend liegt Hakata, der älteste Teil der Stadt. Sieht man aber nicht wirklich. Hakata ist trotzdem noch der kulturelle Mittelpunkt, diverse Festivals finden hier statt (normalerweise), es gibt einen eignen Dialekt, Esskultur und – warum auch nicht – eine eigene Girl-Group. Mit der Canal City Hakata liegt hier auch eine der angeblich beeindruckensten Malls Japans, wobei der Komplex doch eher noch mal einen eignen Stadtteil darstellt. Immerhin gibt's dadrin einen Neon Genesis Evangelion Laden, in dem es von Inneneinrichtung bis Nahrungsmitteln so ungefähr alles gibt ... eigentlich braucht es garkeine anderen Geschäfte mehr. In Hakata liegt auch der Flughafen, der ungünstigerweise über die Jahre recht zentral in die Stadt gewachsen ist.

Die Randbezirke bestehen großteils aus recht modern wirkenden Wohnblöcken, die im Kontrast zur Innenstadt recht viel Platz für Grünflächen und Freizeitanlagen lassen. Zu den Bergen hin werden daraus aber wieder recht eng stehende Einfamilienhaussiedlugen. Weil die Stadt damit auch schon bis zu den umgrenzenden Bergen gewachsen ist, wurden aus Platzmangel vor des Küste auch schon wieder künstliche Inseln angelegt.

Wie damals

Ich wohne hier in einem so genannten Share House, quasi einer WG. Das Share House liegt im Bezirk Minami (grob übersetzt 'Süd') auf dem einzigen Berg mitten in der Stadt. Dadurch besteht hier alles aus recht schmalen, oft verflucht steilen Straßen, die teilweise mit extra mit anti-rutsch Belag ausgestattet sind um sie überhaupt noch sinnvoll benutzen zu können. Dafür ist es dann aber auch ein recht schnuckeliges ruhiges Wohngebiet aus hauptsächlich Einfamilienhäusern, wohl weil sich hier logistisch wohl nicht viel anderes hinbauen lies. Heißt aber auch bis zum nächsten Konbini sind es knapp 15 Minuten Fußweg, was bei einer dichte von ca. einem dieser Mini-Supermärtke per 2000 Einwohner im Land echt weit ist. Immerhin war Platz für diverse kleine Parks mit Seen und sogar ein kleines Wäldchen mit Aussichtsturm auf dem Gipfel.

Mein Zimmer hat geräumige sechs Tatami Fläche (wer sich für fragwürdige Maßeinheiten interessiert sollte sich mal einlesen) und ist klassisch mit Futon und beheiztem Tisch (Kutatsu) ausgestattet ... der Ausblick aus dem Fenster lässt allerdings etwas zu wünschen übrig. Dazu gibt's ne große Küche, traditionell ohne Ofen – bin ich ja gewohnt, Gemeinschaftsraum mit Fernseher und alles was nötig ist um seine Klamotten und das dazugehörige Innenleben zu reinigen.

Die Maximalbelegung des Hauses sind wohl neun Leute ... was ich mir mit nur einer Dusche und zwei Klos echt etwas unangenehm vorstelle. Momentan sind hier außer mir noch ein weiter Deutscher, der sein Praktikum bei der Sprachschule macht, ein Brite, der gerade mit seinem Kurs fertig ist und jetzt wartet irgendwie einen Heimflug zu ergattern, sowie ein Vietnamese der den Web-Krams für die Schule macht und gleichzeitig das Share House managt. Bis vor kurzem war hier auch noch eine Britin die nach sechs Monaten Sprachschule mehr oder weniger planmäßig zurück nach Hause ist. Tja, durch die momentan geltenden Einreisebeschränkungen werden es wohl mittelfristig auch nicht wieder mehr Leute werden. So insgesamt fühle ich mich doch etwas an alte WG-Zeiten erinnert, inklusive Putzplan und gemeinsame Videoabende. Und der ein oder andere gemeinsame Wochendausflug war auch drin.

Ich war zwischenzeitig übrigens auch beim örtlichen Bürgercenter und habe meinen Wohnsitz angemeldet. Das muss ich innerhalb von zwei Wochen, oder auch 90 Tagen, vielleicht aber auch garnicht tun ... irgendwie ist das bei Working Holiday Visas etwas unklar, vermutlich aber auch recht egal (genauso wie die Frage ob ich Kranken- und Rentenversicherung bezahlen muss). In der Theorie ist der Prozess recht einfach: Hingehen, Formular ausfüllen, Adresse auf die Residence Card drucken lassen fertig. So die Theorie. In der Praxis bin ich erstmal zum Rathaus, wo mir dann gesagt wurde, dass ich zur Verwaltung von meinem Stadtbezirk muss. Okay, muss man wissen, ist ja aber nur eine Stunde Fußweg. Dort war gut was los, aber immerhin gibt es einen Bereich wo schonmal alle Formulare mit englischen Ausfüllhilfen und hilfsbereiten Mitarbeiterinnen bereit stehen. Also alles ausfüllt, Wartenummer gezogen und gewartet. Am Schalter wurde es dann kompliziert. Zum einen langt es wohl nicht, nur Straße und Hausnummer zu haben (auch wenn ich immernoch der Meinung bin, dass die in meinem Fall eindeutig waren) sondern man braucht auch noch den Namen des Hauses. Wer wissen will warum, sollte sich mal den Wikipedia Artikel zu japanische Adressen ansehen. Immerhin hatten sie einen Bebauungsplan, auf dem ich dann mit Hilfe von Satellitenbild das passende Haus gefunden habe. Dann brauchte ich wohl auch noch einen Grund überhaupt in Japan zu sein und eine japanische Kontaktperson ... ich habe die Sprachschule genannt, dort haben sie dann auch gleich angerufen um alles nochmal zu bestätigen. Hatte ich schon erwähnt, dass niemand in dem Laden Englisch konnte? Damit hat der Prozess dann trotz Google Translate nämlich eine knappe Stunde gedauert. Immerhin hab ich jetzt einen offiziellen Wohnsitz. Eigentlich müsste ich den ganzen Prozess jedes mal machen wenn ich hier einen neuen permanenten Wohnsitz habe, da aber unklar ist was das genau heißt, schaue ich vermutlich einfach mal was passiert wenn ich alles so lasse wie es jetzt ist ... bei meinen Reiseplänen wird das sonst echt anstrengend.

Sakura, Sakura

Während ich in Tokyo und Osaka nur die vereinzelten Anfänge der Kirschblüte sehen konnte, habe ich sie in Fukuoka dann ich voller Pracht erlebt. Das ganze Spektakel beginnt recht plötzlich, hält dann um die zehn Tage und endet mit einem Regen aus Blütenblättern. Hübsch. Traditionell genießt man diese Zeit mit Picknicks in den Parks, davon wurde dieses Jahr allerdings abgeraten ... viel los war trotzdem.

Mit meinen Mitbewohnern gab's einen Ausflug in den Maizuru Park. Dort kann man neben den Kirschblüten auch die Überreste der lokalen Burg bewundern. Im angrenzenden Ohori Park gibt es dann noch einen großen See – natürlich mit Schwanenbooten. Am nächsten Wochenende haben wir uns dann zum Frühstück in einen der Miniparks neben dem Share House begeben und sind über den ebenfalls naheliegenden Friedhof getingelt. Eigentlich muss man zum Kirschblüten gucken nirgendwo speziell hin, dadurch, dass wirklich an jeder Ecke, ob Park oder privater Garten, ein Kirschbaum steht, lang es einfach nur ziellos durch die Stadt zu laufen um das Ganze zu erfahren.

Muzukashii desu

Thema Schule: Die liegt in einem Haus mittig in Tenjin und vermittelt eher den Eindruck einer Mietwohnung. Ich hatte Einzelunterricht, da dadurch, dass ich schon zwei Wochen im Land war und inzwischen die Grenzen dicht sind, natürlich sonst niemand mehr frisch angefangen hat. Eigentlich ein kostenfreies Upgrade, aber nicht ganz das was ich mir Vorgestellt habe. Unterricht waren drei Stunden am Tag mit, über die Woche verteilt, drei verschiedenen Lehrerinnen. Die haben sich zwar redlich bemüht, aber im Endeffekt ging es doch nur darum pro Tag eine Lektion des Lehrbuchs durchzuhauen. Das bedeutet ca. fünf grammatikalische Konzepte und 50 Vokabeln am Tag ... zu viel für mich, vor allem weil dadurch keine Zeit geblieben ist um rauszufinden wie man das Ganze dann auch anwendet. So in allem habe ich nach den sechs Wochen nicht das Gefühl wirklich weitergekommen zu sein. Zwar geht lesen und schreiben mit viel nachschlagen halbwegs, aber ich bin kaum in der Lage auch nur einzelne Worte aus gesprochener Sprache herauszuhören. Meinem britischen Mitbewohner geht es nach zwölf Wochen übrigens ähnlich. Ich hoffe, dass ich den Rest vom Jahr mit Selbtstudium und mehr praktischer Anwendung noch etwas weiter komme.

Apropos Anwendung, eigentlich war eines der Features der Sprachschule ja die Möglichkeit an sozialen Events teilzunehmen, das ist natürlich großteils flach gefallen. In der ersten Woche gab es noch einen Gyoza-Abend und zwei Abschlussessen – Einmal Yakiniku, ähnlich wie Fondue nur mit Grill, und einen Besuch in einem All You Can Eat Nachtisch-Restaurant ... bei letzterem ist es wohl ganz gesund, dass das so bald nicht mehr stattfindet. Danach war Schluss und nach den ersten drei Wochen wurde der Unterricht auch auf Skype ausgelagert. Alles nur bedingt hilfreich um eine Sprache zu lernen. Immerhin weis ich jetzt, dass in Japan nicht nur während dem Autofahren, sondern auch während dem Unterricht Fernsehen geguckt wird – Spiegelnde Whiteboards sind verräterisch.

On the Road Again

Um langsam wieder fit für die hoffentlich bald startende Reise gen Norden zu werden, habe ich mir angewöhnt ca. einmal die Woche eine kleine Radtour zu machen. Dafür liegt Fukuoka echt praktisch: Berge, Meer, flaches Land, alles schnell erreichbar. Inzwischen hab ich alle Himmelsrichtungen einmal ausprobiert. Im Norden die Halbinsel Shikashima, von der aus es einen netten Blick auf die Küste von Fukuoka gibt, im Westen Itoshima, mit hübschem Strand und Küstenstraßen. Östlich und westlich sind Berge, die die Mühe dank Ausblick und Wald auch durchaus Wert sind.

Entlang der Strecken gibt es immer wieder Ausflugshotspots, wo sich trotz bitten der Regierung doch immer noch recht viele Leute tummeln. Rad- und vor allem Motorradfahrer sind natürlich auf den Strecken auch recht häufig anzutreffen. Immerhin habe ich unterwegs jetzt schon mehrere deutsche Bäckereien gefunden. So gut das Essen hier auch ist, Brot ist nicht die Stärke der lokalen Küche, und auch wenn die Produkte der genannten Bäckereien geschmacklich echt gut sind, die gummiartige Konsistenz wird man hier einfach nicht los. Und zusammen mit der Butterknappheit in Japan wird die Butterstulle preislich auch eher was für besondere Anlässe.