Point of No Return
12.03.2021Vorbei. Seit einer Woche bin ich zurück im Land der unbeheizten Klobrillen und unzureichenden Internetversorgung. Der Kulturschock in die andere ich Richtung ist doch recht bitter. Dazu geht hier, aus inzwischen wohl bekannten Gründen, auch nicht viel. Also erstmal Ersatzteile fürs Fahrrad zusammenkratzen um etwas raus zu kommen... so wie's aussieht sind Fahrradteile nach Klopapier und Grafikkarten aber wohl das nächste knappe Gut.
Ob ich jetzt schon (oder generell) ein Fazit aus der ganzen Aktion ziehen will, weis ich noch nicht. Daher wird das hier wohl der letzte Text sein. Grob gesagt ist das vergangene Jahr nicht ansatzweise so gelaufen wie ich es mir vorgestellt habe... Ich vermute allerdings, dass es dem Großteil der Menschheit in dem Fall ähnlich geht. Im schlimmsten Fall habe ich halt nochmal ordentlich Urlaub gemacht, wer weis wann das wieder möglich sein wird.
Neo-Yokohama 3
Die ersten zwei der letzten Wochen habe ich mich im Stadtteil Shin-Yokohama (lit. Neu-Yokohama) einquartiert. Der wirkte mit seinen dichten modernen Firmen-Hochhäusern auf den ersten Blick eigentlich sehr nach Stadtzentrum, wenn man dann aber zwei Blöcke weit in beliebige Himmelsrichtung geht, stellt sich raus, dass es mehr eine kleine Insel in Mitten von recht losen Wohngebieten ist. Daher gibt's da leider auch nicht viel: Ein recht großes Stadion mit Sportpark, ein kleiner Bambuswald und das Ramen Museum. Museum ist nicht unbedingt das richtige Wort, eigentlich ist es eine Halle mit diversen Restaurants die Ramenvarianten aus den verschiedenen Landesteilen anbieten. Und genau deshalb hatte es auch geschlossen. Schade, aber auch nicht schlimm, schließlich konnte ich das meiste ja eh schon vor Ort probieren. Wenigstens die ortsansässige Zentrale vom TÜV Rheinland hat schonmal einen Hauch von Heimat vermittelt.
Stattdessen hab ich dann das Cupnoodles Museum besucht, was gut drei Stunden Fußmarsch entfernt lag. Dort wird hauptsächlich den wirtschaftlichen Erfolgen des Erfinders der klassischen Instant-Küche gehuldigt. Nebenbei kann man auch noch seine eigene Geschmacksvariante kreieren, was so viel heißt wie den Becher bepinseln und auf vier paarweise verschiedene Zutaten zu zeigen (viermal Lauch ging leider nicht). Der Rest des Museums wirkt etwas leer, scheinbar hat man erst nach dem Bau des riesigen Gebäudes bemerkt, dass die Historie des ganzen doch nicht so umfangreich ist und dann alles noch etwas mit Kunstinstallationen gestreckt. Vielleicht ist sonst aber auch einfach mehr los und es fällt nicht so auf.
Geldwäsche
Nach nun längerer Tempelschreinpause habe ich noch einen Tagesausflug nach Kamakura gemacht. Das war vor knapp 1000 Jahren politisch-kulturelles Zentrum des Landes und ist dementsprechend üppig mit allerlei alten Bauwerken und Historie ausgestattet. Dummerweise hab ich genau einen Feiertag erwischt, und es war gut was los... Zumindest an den berühmteren Orten, die etwas abgelegeneren Plätze und Pfade dazwischen waren angenehm leer. Trotzdem will ich nicht wissen, wie es in Kamakura zu Zeiten aussah, als internationaler Tourismus noch mehr als ein theoretisches Konzept war.
Kamakura liegt in einer waldig-hügeligen Gegend, daher ist alles ziemlich verstreut gelegen und lässt sich aber über recht hübsche Pfade erwandern. Los ging's, vorbei an den massigen Souvenirshops und Restaurants im Stadtkern, über den Tsurugaoka Hachiman-gū Schrein wo gerade eine irgendeine Prozession mir unbekannten Zwecks stattfand. Dann sucht man etwas im Gebüsch nach dem Einstieg zum Wanderpfand und landet irgendwann über einen weitläufigen Tempelkomplex im nördlichen Teil der Stadt. Von dort aus führt ein weiterer Wanderpfad zum Zeniarai Benten Schrein, wo man sein Geld in dortigen Quelle waschen kann. Das kommt dann angeblich nach dem Ausgeben irgendwann vervielfacht zu einem zurück... Ich glaube ja eher an eine clever getarnte Hygienemaßnahme. Danach kommt nach diversen Treppen ein lauschiger Schrein mit haufenweise kleinen Fuchsfiguren, hinter dem der Wanderweg entgegen der Karte nicht weitergeht. Stattdessen muss man ein ganzes Stück in horizontaler und vertikaler Richtung zurück und kann dann den letzten Abschnitt bis zum Kōtoku-in, wo es mal wieder ein große Buddhastatue zu sehen gibt, die ist immerhin schon knapp 800 Jahre alt und hat im Gegensatz zu dem Gebäude das sie einst umgab schon den ein oder anderen Tsunami überlebt.
Yoyokohama
Für die letzten paar Wochen habe meine Bleibe dann etwas weiter ins wirkliche Stadtzentrum verlegt, zum einen weil es deutlich günstiger war, zum anderen weil Shin-Yokohama doch wirklich etwas zu abgelegen ist. Das Hotel der war dem Preis entsprechend zwar nicht mehr das frischeste, dafür war das aber Zimmer recht groß und erdbebensicher war es allem Anschein trotzdem — das hat zumindest die experimentelle Analyse ergeben. Dort hat mich das inzwischen glaube ich sechste Erdbeben erwischt. Fast passend zum zehnjährigen Jahrestag ein Nachbeben von 2011 und das seitdem stärkste gemessene Erdbeben generell. In Yokohama habe ich zwar nur die Ausläufer zu spüren bekommen, das war aber schon ausreichend scary, nicht nur weil es mit fast einer Minute unangenehm lang war, sondern sich sowas im achten Stock auch doch nochmal etwas anders anfühlt. In Bodennähe ist das mehr so ein rabiates rütteln, weiter oben schwingt dann alles etwas gedämpft munter hin und her. Trotz der Heftigkeit nahe des Epizentrums ist aber nichts gravierendes passiert. Knapp hundert leichte Verletzungen á la Schramme und Knochenbruch, Rohrbrüche, heruntergekommene Decken, umgefallene Mauern und Schuppen, der Shinkansen für ein paar Tage lahmgelegt. Glücklicherweise kein Tsunami. Adrenalin hat's trotzdem ordentlich erzeugt und das wirkt deutlich besser als Koffein, vor allem kurz vor Mitternacht.
Generell wirkt Yokohama wie ein etwas ruhigeres und nicht so dichtes Tokyo, was Kampfroboter angeht ist Yokohama allerdings deutlich besser ausgestattet. Das 18 Meter hohe Gerät steht dort seit Dezember am Hafen und vollführt alle halbe Stunde ein paar mehr oder weniger gemächliche Bewegungen. Der angrenzende Stadtteil Minato Mirai (etwa Hafen der Zukunft) ist in den achtzigern von einem Industriegebiet zu einem recht gemütlichen Geschäfts- und Vergnügungsbezirk umgebaut worden. Neben Vergnügungspark und Museen gibt's dort mehrere Shopping Malls in denen ich dann — zusätzlich zu meinen etwas ausgearteten Ausflügen zu diversen Second-Hand Shops in der näheren und weiteren Umgebung — noch ein paar weitere nette Souvenirs gefunden habe.
In Yokohama liegt auch die größte Chinatown Japans. Wirklich viele Chinesen leben dort aber wohl nicht mehr, eher wirkt sie wie ein chinesisch inspirierter Themenpark mit sehr, sehr vielen Restaurants, Läden die angeblich authentische chinesische Souvenirs anbieten und Handlesern — wo der Bedarf für diese Menge an Handlesern her kommt ist mir unklar, eventuell ist Idee ja, so lange zu verschiedenen Anbietern zu gehen bis man jemanden findet, der einem das erzählt was man hören will. Klingt jetzt zwar alles etwas kitschig, hat aber trotzdem eine recht nette Atmosphäre und ist hübsch anzusehen, und interessanterweise hab ich hier auch endlich mal einen Laden gefunden der halbwegs hochwertig wirkende japanische Mitbringsel angeboten hat.
Mein Abreise war den irgendwie sehr unzeremoniell: Abends kurz aus dem Hotel ausgecheckt, Zug zum Flughafen, Zettel unterschrieben, dass mir die Endgültigkeit der Ausreise klar ist, Residence Card lochen lassen, Abflug. Ich hatte eigentlich gehofft meine letzten Yen am Flughafen noch in ein üppiges Abendessen umwandeln zu können, hatte allerdings nicht bedacht, dass die Restaurants dort wegen Ausnahmezustand auch schon um acht zumachen mussten... Zumindest die, die überhaupt erst aufgemacht haben. Also war mein letztes Abendmahl vom einzigen Konbini der am Flughafen noch auf hatte — dass ich vor meiner Abreise nochmal einen geschlossenen Konbini sehen würde, hätte ich auch nicht gedacht. Hinter der Sicherheitskontrolle war dann komplett tote Hose: Duty-Free Shop sowie die ganzen Edelmarkenläden, bei denen mir immer noch ein Rätsel ist wer da überhaupt was kauft, und Restaurants schienen schon seit Monaten ihren Betrieb eingestellt zu haben. Ich bin also endgültig auf meinen letzten 8000円 sitzengeblieben. Falls aber wer in nächster Zeit einen Zombiefilm drehen will und noch nach einer passenden Kulisse sucht, Internationale Flughäfen scheinen sich momentan recht gut anzubieten.
































































