The End is Nigh
15.02.2021Die letzten drei Wochen sind angebrochen. Nach einer doch nochmal etwas längeren Tour nach Nagoya bin ich zurück in Yokohama, das liegt etwas näher am Flughafen und ist deutlich günstiger als Tokyo. Mit Fahrradfahren ist jetzt wohl endgültig Schluss, zum einen hab ich nach etwas über 60 verschieden Unterkünften die erste erwischt, bei der es keine Möglichkeit gab, mein Rad unterzubringen und es sich deshalb jetzt schon im Flugzeugmodus (a.k.a. zerlegt in der Tasche) befindet. Zum anderen kommt mein Equipment doch langsam an seine Grenzen: Die bereits beschriebenen Probleme am Antriebsstrang, die leicht unzuverlässige Hinterradbremse, diverse abgefallene Kleinteile und meine Hose hab ich auch schon mehrfach flicken müssen.
Der "Ausnahmezustand", der seit Anfang Januar in den dicht besiedelten Regionen gilt, wurde auch hier nochmal bis Ende März verlängert, es hat aber deutlich weniger geschlossen als Anfang des Jahres. Das Konzert für das ich mir im Frühjahr optimistischerweise noch Karten besorgt hatte, ist inzwischen auch abgesagt. Sehr ärgerlich. Ein Rockkonzert im Budokan zu sehen gehört zu den wenigen Dingen die ich ganz gerne auf meiner Bucketlist abgehakt hätte, anderseits ist dadurch wenigstens die moralische Entscheidung überhaupt hinzugehen nicht an mir hängengeblieben.
Jahreswechsel
In Tokyo habe ich diesmal im Stadteil Kita-Senju im Bezirk Adachi gewohnt. Der ist geprägt von klassischen Einkaufsstraßen und kleinen, sehr eng stehenden Wohnhäusern, die von schmalen Gassen durchzogen sind, in denen man sich beim Erkunden wunderbar verlaufen kann. In einem solchen Wohnhaus befand sich auch das Hostel in dem ich drei Wochen inklusive Weihnachten und Neujahr verbracht habe. Betreut wurde der Laden von einem jungen Amerikaner mit japanischen Wurzeln, der auch mit Pandemiebeginn ins Land gekommen war. Dementsprechend froh schien er mal wieder englische Konversationen führen zu können und war recht gesprächig, hatte aber auch mal wieder etwas unangenehm verquere Ansichten... bin ich ja jetzt auch schon gewohnt. Neben erstaunlich viel Durchgangsverkehr wohnten auch noch eine Handvoll Leute dauerhafter dort. Darunter ein recht stiller drahtiger Typ der "irgendwas mit Mode" machte und regelmäßig von seinem etwas bodenständigeren Zimmernachbarn, welcher auf dem Bau arbeitete und einen etwas bedenklichen abendlichen Bierkonsum hatte, ausführlich und lautstark aufgeklärt wurde wie er denn seiner Meinung nach sein Leben führen sollte.
Um die Weihnachtszeit tauchte auch noch ein Frau mit zwei Kindern auf, die eigentlich im gleichen Stadtteil wohnte, über Neujahr aber auch im Hostel blieb — die Gründe dafür habe ich nicht erfahren, sie versuchte zwar auch gerade Englisch zu lernen, war damit aber ähnlich weit wie ich mit Japanisch. Daher blieben die Unterhaltungen eher simpel. Sie hatte bis vor der Pandemie als Köchin in einem Sushi-Restaurant gearbeitet, was sie netterweise auch demonstriert hat. Außerdem bin ich noch über diverse Neujahrstraditionen, wie die Grundreinigung der Wohnung vor Jahreswechsel, Toshikoshi Soba (was zu Essen) und verschiedene Holzspielzeuge aufgeklärt worden. Alles inklusive praktischer Demonstration. Nach Neujahr ist übrigens auch die einzige Zeit im Jahr wo tatsächlich Geschäfte mal ein bis zwei Tage geschlossen haben und etwas ruhe in der Stadt einkehrt. Konbinis haben natürlich trotzdem offen, die haben immer offen, IMMER.
Neben den üblichen Stadtwanderungen und einigen kleineren Radtouren an den Flüssen entlang — wo anderes macht das in Tokyo echt keinen Spaß — hab ich's dann doch noch auf den Skytree geschafft, der zeitweise wieder geöffnet hatte. Mit seinen 634 Metern bietet der doch einen deutlich besseren Ausblick als der Tokyo Tower. Außerdem war oben passenderweise mal wieder eine Evangelion Ausstellung ... eigentlich im Kontext des finalen Films, der hatte aber im Anbetracht des Momentanen Zustands auch schon zweimal nicht seine Premiere hatte, wär ja auch ein Wunder wenn das ganze nach knapp 14 Jahren dann doch mal zum Ende kommen würde.
Schnee im Winter
Um nach Nagoya zu kommen, habe ich mich für den Weg durch die Japanischen Alpen entschieden, Spitzenidee in der Jahreszeit. Nachdem ich mich also wieder aus der Metropolregion um Tokyo rausgewühlt hatte, ging's Tag für Tag ein Stückchen weiter nach oben — insgesamt zumindest, meistens ging's ein ordentliches Stück hoch und ein leicht weniger ordentliches Stück wieder runter. Bei der Abfahrt vom ersten Berg ist mir dann neben Fingern, Zehen und Nase dann auch gleich mal die Hinterradbremse eingefroren, dementsprechend war diesmal der Weg nach unten ähnlich langsam wie der noch oben. Recht spät abends kam ich dann in meiner Unterkunft an — zuerst dachte ich, ich hätte beim buchen nicht aufgepasst, aber es handelte sich wohl nur um ein ehemaliges Love-Hotel. Jacuzzi und Vibrationsfunktion des Bettes waren daher außer Betrieb, war aber trotzdem noch ein gut ausgestattetes Bungalow das mindestens mal so groß wie meine ehemalige Wohnung war.
Der nächste Berge war dann nochmal deutlich ungemütlicher mit einem neuen Negativrekord von -11°C und Abfahrt über eine schmale, heruntergekommene Straße durch gruselig verlassen wirkende Bergdörfer. Auf der nächsten Etappe ging's dann wieder Bergauf, im mehrfachen Sinne: Sonniges Wetter bei hübscher Schneelandschaft und geräumten Straßen — zumindest anfänglich. Der letzte Bergpass vor meinem Tagesziel wirkte anfänglich noch ganz gut, später stellte sich aber heraus, dass der nur bis zum obersten Dorf geräumt war und das letzte Stück nach oben mit meinem Equipment nicht wirklich befahrbar war ... also durfte ich ein paar Kilometer schieben. Die Rückseite des Berges schien dann aber zumindest den Tag über in der Sonne gelegen zu haben und war freigeschmolzen, bis auf ein paar schattige Kurven, sodass es mich dann doch mal hingelegt hat. Ich möchte an dieser Stelle übrigens nochmal meine Meinung zu Tunneln anpassen... Im Winter haben die doch ihre Vorzüge, weil warm und schneefrei.
Die nächsten zwei Nächte hab ich zu Abwechslung mal wieder in einem Ryokan verbracht, so ein heißes Bad ist bei dem Wetter genau das Richtige und ungefragt einen Kaffee und was zu Knabbern bekommen wenn man draußen im Kalten sein Rad repariert ist auch echt nett. Mein Timing war auch mal wieder perfekt: An dem Tag den ich dort verbracht habe, hat es so ordentlich geschneit, dass Fahrradfahren wohl fast unmöglich gewesen wäre. Dafür konnte ich dann eine nette Winterwanderung zum Nahe gelegenen Bergsee machen. Tags drauf war es dann wieder sonnig und die Straßen frei — bis auf den Bergpass den ich eigentlich nehmen wollte. Der war aber immerhin schon bevor es noch oben ging gesperrt, also hieß es mal wieder hässliche Bundesstraße bis Nagoya, immerhin schnell und flach.
Nichts los in Nagoya
Nagoya ist die drittgrößte Metropolregion nach Tokyo und Osaka, wurde aber im zweiten Weltkrieg zum fast komplett zerstört. Danach ist sie, bedingt durch Seehafen und Toyota, als moderne Industriestadt wiederaufgebaut worden. Alles zwar sehr ansehnlich, neben ein paar für ich mich mäßig interessanten Museen und der üblichen Burg (die hinter einer physikalischen Paywall steht) gibt es aber nicht viel zu sehen. Außer gelegentlich etwas durch die Stadt zu tingeln habe ich also nicht viel gemacht, war aber auch nur eine Woche da.
Tanz auf dem Vulkan
Den Rückweg hab ich über ein weiteres Stück der Pacific Cycling Road genommen, deren letztes Teilstück ja eigentlich ganz nett gewesen war. Stellte sich aber eher als Reinfall raus, nicht nur landschaftlich wenig sehenswert sondern auch zu großen Teilen in Renovierung (oder sogar erst im Bau?) befindlich. Es hieß also alle paar Kilometer Umfahrungen suchen und den Anschluss wiederfinden. Wenigstens gab's ein Hotel das Fahrradzimmer anbot, so stand mein Rad den einzigen Regentag lang immerhin im trockenen.
Am Fuji bin ich auch nochmal vorbei. Der hat sich aber natürlich wieder genau dann in Wolken versteckt als ich in seine Nähe kam... dann halt nicht. Dafür bin ich durch den Fujihakoneizu Nationalpark. Dort gibt es trotz Wolken neben einem Bergsee ein lecker schwefelig blubberndes vulkanisches Tal zu besichtigen und im lokalen, bereits kochend ausgelieferten, Wasser gegarte Eier zu verköstigen. Deren Schale wird wegen chemischer Reaktionen mit dem im Wasser befindlichen Schwefel und Eisen pechschwarz, den Geschmack verändert das aber kaum. Immerhin sollen sie das Leben um im Schnitt fünf bis sieben Jahre verlängern — ob das pro Ei gilt ist unklar. Dort oben kann man auch mal wieder die dumpfen Explosionen vom benachbarten Militärübungsplatz wahrnehmen. Sowas zwischen zwei aktiven Vulkanen zu machen, halte ich auch eher für sportlich.
Nach einer Abfahrt, die durchaus als Mario Kart Strecke hätte durchgehen können, landet man dann auch direkt wieder in den Ausläufern der Metropolregion Tokyo und Radfahren wird dementsprechend ungemütlich. Von dort aus lässt sich aber noch der ein oder andere Blick auf die Spitze vom Fuji erhaschen, die gerade noch so rausguckt und JETZT AUF EINMAL NATÜRLCIH WIEDER WOLKENFREI IST. Irgendwann werde ich mich noch an diesem Berg rächen, muss nur noch herausfinden wie...
















































